Balifornication

Mit dem Schnellboot geht es weiter westwärts nach Nusa Lembongan. Ich brauche eine Nacht in einem Privatbungalow, um mich von den Strapazen des Rinjani-Treks zu erholen, bevor ich mich Tags drauf wieder mit der K. treffe, die hier Tauchen lernen will. Lembongan ist als ausgezeichnetes Tauchrevier bekannt und auch ich tauche hier wieder ab und lasse mich zum „Advanced Adventurer Diver“ ausbilden, was immer das auch genau bedeuten mag.

Auf der Insel stelle ich fest, dass ich bislang wohl Glück hatte mit dem Wetter in Indonesien, denn eigentlich ist hier Regenzeit und das ist dem Wetter wohl auch gerade wieder eingefallen. Zum Glück ist das unter Wasser eher nebensächlich, aber wenn das Tauchboot zu den Dive-Sites rausfährt, muss man sich schon recht gut festhalten.

Nachdem wir alle Unterwassersehenswürdigkeiten abgeklappert haben, verbringen wir noch zwei Tage auf der Nachbarinsel Nusa Penida, die auch überirdisch einiges zu bieten hat. Was die Natur hergibt, besichtigen wir mit zwei Reiseabschnittsgenossinen allerdings gleich in Badeshorts bzw. Bikini; Nichts, gar Nichts würde hier auch nur eine Sekunde trocken bleiben. Der Tag halbnackt im 30 Grad warmen Dauersturzregen ist ein absurder Spaß – ja, man kann uns wirklich nicht vorwerfen, dass wir nicht das Beste aus der Situation machen. Die Sonne vermisse ich trotzdem langsam und dass die meisten meiner Klamotten mittlerweile nass sind und bei 120 Prozent Luftfeuchtigkeit auch niemals mehr trocknen werden (also sehr bald anfangen werden zu stinken), macht es auch nicht besser.

Um tags drauf mit dem Speedboat nach Bali zu kommen, müssen wir um halb sechs aufstehen, denn das ist offenbar die einzige Tageszeit, zu der das Meer die Überfahrt noch gestattet, bevor gegen Mittag Wind und Wellen die See wieder für sich allein beanspruchen.

Ich habe nur noch Zeit für eine Stadt auf Bali und so fällt die Wahl auf das Surfer-Paradies Canggu. Wir steigen im LayDay-Surfhostel ab, was für seine entspannte Atmosphäre und seine ab 9 Uhr morgens geöffnete Bar bekannt ist. Leider ist die Herberge ein bisschen weit ab vom Schuss, weshalb man jeden Weg mit dem Roller zurücklegen muss, was ziemlich ungünstig ist, wenn alle schon mittags anfangen zu saufen. Egal, wir können mit dem ersten Bier warten, bis alle Besorgungen in der Stadt erledigt sind. Nur abends wird die Lage zum Problem. Weil auch dieses Hostel Nachbarn hat, die gelegentlich mal schlafen müssen, geht um elf Uhr die Musik aus und alle fahren in die Stadt. Nun kann man in Canggu leider auch nicht einfach ein Uber oder ein Taxi bestellen, denn die lokale Mafia hat dafür gesorgt, das kein Taxifahrer, dem was an seiner Gesundheit oder seinem Gefährt liegt, hier noch irgendjemanden befördern würde. Gleichzeitig haben sie jedoch keine funktionierende Parallelinfrastruktur geschaffen. Canggus Straßen sind also jede Nacht vollgestopft mit Westerners, die in den abenteuerlichsten Zuständen in die Bars und Clubs fahren und gegen Morgen wieder zurück. Polizei gibt es hier nicht. Es ist natürlich unnötig zu erwähnen, dass die Leute sich hier in schöner Regelmäßigkeit umbringen, jedenfalls aber schwer verletzen. In Indonesien sterben schon mal 60 Rollerfahrer an einem einzigen Tag. Das scheint uns nicht übermäßig verlockend zu sein, was jedoch auf völliges Unverständnis stößt. Erzählt man, dass man betrunken lieber nicht fahren mag, reagieren die Leute, als würde man offenbaren, dass man aus Prinzip kein Smartphone benutze. Besoffen zu fahren ist hier so selbstverständlich wie eben besoffen zu sein. Wir finden trotzdem Wege, um von A nach B zu kommen, ohne selbst zu fahren. Nicht immer komfortabel, selten preisgünstig und oft unzuverlässig. Nachts warten die vierzehnjährigen Kids mit ihren Rollern vor den Bars und Clubs, um ihr Taschengeld aufzubessern. Es erscheint mir allemal sicherer, als bei meinen Hostelgenossen hinten aufzusteigen – sofern die überhaupt noch in der Lage sind, sich selbst auf den Roller zu schwingen. Nicht wenige fallen sofort mitsamt ihres Gefährts wieder um.

Natürlich lerne auch ich in Canggu Surfen. Wenn nicht hier, wo dann? In Australien will ich es schließlich schon können und hier sind Surfstunden noch bezahlbar. Es klappt überraschend gut. Zum Glück, denn ich habe nicht mehr ewig Zeit.

Seit ich in Indonesien bin, habe ich es immer bedauert, nicht mehr Zeit zu haben. Zwischenzeitlich habe ich sogar auf den (immer noch erwarteten) Ausbruch des Mount Agung gehofft. Ein gecancelter Flug ist hier ein gutes Argument für eine Visumsverlängerung.

Aber gerade jetzt, kurz vor meiner Abreise, fühlt es sich gar nicht mehr so verkehrt an, dass ich bald die Kurve kratze. Der Dauerregen schlägt auf die Stimmung und auch die K. und ich gehen uns jetzt manchmal auf die Nerven. Es ist eigentlich genau der richtige Zeitpunkt, um zu einem neuen sonnigen Kontinent, einer neuen Etappe aufzubrechen.

Den ersten Weihnachtstag verbringe ich noch im Hostel, wo Weihnachten im Grunde bedeutet, dass man einfach noch mehr trinkt als sonst. Mein Flug nach Melbourne geht um 23.00 Uhr und da ich später das Gate noch finden muss, kann ich leider nicht voll in die Feierlichkeiten miteinsteigen. Ein, zwei letzte Bintang-Biere, dann kommt mein Taxi. Der Fahrer überlässt mir die Musikauswahl und das Album „In Colour“ von Jamie xx wird der Soundtrack dieser letzten Autofahrt in Asien. Die Musik passt zu meiner Stimmung, die irgendwo zwischen melancholisch und freudiger Erwartung liegt. Draußen regnet es mal wieder und drinnen blase ich nachdenklich den Rauch der gefühlt hundertsten Zigarette an diesem Tag gegen die Windschutzscheibe. Die roten Rücklichter des chaotischen indonesischen Verkehrs spiegeln sich im Dunkeln auf der regennassen Fahrbahn und für die zehn Kilometer zum Flughafen brauchen wir über eine Stunde. Farewell Asia.

Die nagelneue Boing 787 riecht innen wie ein neues Auto und das Mädel am gegenüberliegenden Fenster schenkt mir ein Lächeln – einfach so. Ich schließe den Anschnallgurt. *klick*. Als das Flugzeug abhebt, läuft der tropische Regen in dicken Schlieren die großen Panoramafenster des Dreamliners entlang. Ich habe die Sitzreihe für mich allein, mache es mir gemütlich, und schlafe sofort ein.

Kopf gegen Körper

Auf Gili Air ist nicht viel los. Zwar ist das Captain Coconuts Hostel ein großartiger Ort, aber was nützt das schon, wenn man der einzige Gast ist.

Es durstet mich nach Action und Abenteuer und so entscheide ich mich für eine Trekking-Tour auf den Mount Rinjani. Indonesiens zweitgrößter Vulkan bestimmt das Landschaftsbild Lomboks und soll sich hervorragend zum Trekken eignen. Ausnahmslos Alle, die ich getroffen habe, haben geschwärmt von der Landschaft und dem Ausblick. Allerdings haben auch Alle gesagt, dass es ein verdammt harter Trek ist.

Na ja, denke ich noch, es ist ja nicht mein erster Trek und so wild kann es schon nicht sein. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte.

Die Suche nach einem passenden Veranstalter ist schwerer als gedacht. Es gibt hunderte Trekking-Agenturen, von hochgradig unseriös bis Premium und nicht alle starten Touren jeden Tag. Eine Tour mit unqualifizierten und unterbezahlten Guides gibt es schon für 100 USD. Wer einen lizensierten Guide haben möchte und zudem sicher sein will, dass das Equipment halbwegs hochwertig ist, muss tiefer in die Tasche greifen. Die Recherchen ergeben, dass man für alle halbwegs vertrauenswürdigen Agenturen mindestens das Doppelte bezahlen muss. Dafür kann man sich dann aber auf gute Verpflegung verlassen und darauf hoffen, dass Guides und Träger anständig bezahlt werden. Ich finde eine Agentur, die garantiert, keinen Müll auf dem Berg zurückzulassen und sogar noch einen 5%-Discount verspricht, wenn man auf dem Rückweg selbst noch einen Beutel Müll einsammelt.

Das ist es mir Wert, und so bricht unsere Dreiergruppe am nächsten Tag zur Gipfelbesteigung auf. Zufällig ist auch der F. dabei, mit dem ich in Komodo den Tauchkurs absolviert habe. Die Welt ist klein. Der 24-jährige Portugiese ist frischgebackener Arzt, ich hoffe jedoch inständig, dass er seine Fähigkeiten hier nicht unter Beweis stellen muss.

Am ersten Tag geht es rauf zum Kraterrand. Schon jetzt ist klar, dass das kein Kinderspiel wird. Es ist sauanstrengend, aber der Guide und die Träger sind nett, das Essen ist (für die Bedingungen) hervorragend und der Wille ist stark. Wenn man den Trägern außerdem dabei zusieht, wie sie in Flipflops Lebensmittel, Kochequipment, Zelte, Isomatten und Trinkwasser den Berg raufschleppen, kommt Beschweren sowieso nicht in Frage.

Als wir am Kraterrand ankommen, bin ich einigermaßen zerstört, aber noch funktionsfähig. Kaum vorstellbar, dass der Vulkan mal über 5000 Meter hoch war, bevor ein Ausbruch irgendwann im 11. Jahrundert einfach die komplette obere Berghälfte weggepustet hat. Die Aschewolke reichte 45 Kilometer in den Himmel und hat die Sonne so sehr verdunkelt, dass in Europa ein ganzes Jahr lang Winter war. Heute liegt im Krater ein See, aus dem ein kleinerer neuer Vulkan hervorragt, der seit dem Ausbruch im letzten Jahr gemütlich vor sich hinqualmt.

Am nächsten Tag klingelt der Wecker um zwei Uhr nachts. Ein Toast mit Marmelade und ein Kaffee ist alles, was uns Energie für den Aufstieg zum Gipfel liefern wird, den wir zum Sonnenaufgang erreichen wollen.

Es gilt einen weiteren Höhenkilometer zu überwinden und jetzt wird sich zeigen, wer Spreu und wer Weizen ist.

Ein Vulkan ist kein gewöhnlicher Berg, es ist vielmehr ein Haufen aus Schutt, Geröll und sandartiger Asche. Zum Gipfel führt ein schmaler Grat, der im Schein unserer Taschenlampen schimmert. Ich muss kämpfe: Für zwei Schritte nach vorn rutscht man einen zurück. Ich schwitze, obwohl es fünf Grad sind und ich nur ein T-Shirt und eine Softshelljacke anhabe. Sobald man stehenbleibt, sorgt der eisige Wind im Zusammenspiel mit dem kalten Schweiß dafür, dass man fast erfriert. Mir wird klar, dass ich dieses Unterfangen hoffnungslos unterschätzt habe. Die Muskeln brennen noch vom Vortag. Pure Verzweifelung beim Blick nach oben: Es ist zu weit, zu hoch. Dass auch der erfahrene Trekker im Team und sogar der Guide Blut und Wasser schwitzen, tröstet mich kein Bisschen. Ich rutsche aus und falle auf die Knie. Immer wieder die Frage: „Warum“? Ich sage mir nicht mehr, dass das aber „sauanstrengend“ ist, sondern wünsche nur noch, aus diesem Albtraum aufzuwachen. Meine körperliche Grenze ist in unmittelbarerer Sichtweite, nicht bloß zu erahnen, nein, hier laufen alle Maschinen auf Maximalauslastung im roten Bereich.

Ich hatte ja keine verdammte Ahnung.

„Auf deine mentale Stärke wird es ankommen, wenn es auf den Gipfel geht“, hat Jul, der Inhaber der Trekking-Agentur mir mit auf den Weg gegeben. Und jetzt bin ich mittendrin, im Kampf „Kopf gegen Körper“. Jul‘s Worte würden das Aufgeben gleichzeitig auch zu einer Niederlage des Geistes machen. Sich einzugestehen, dass man körperlich nicht in der Lage ist, ist einfach – sich einzugestehen, dass man mental nicht in der Lage ist, keineswegs.

Ich gucke nicht mehr nach oben, denke nicht mehr drüber nach, dass dieser Kampf noch mindestens eine Stunde dauern wird. Das Ziel ist ab jetzt immer nur noch der nächste Schritt.

„Einen Fuß vor den anderen; Kleine Schritte; Konstante Geschwindigkeit; Auf keinen Fall nach oben gucken.“

Diese Sätze sind das Mantra, dass ich in Endlosschleife vor mich hinmurmle.

Als ich auf dem Gipfel ankomme, kann ich es kaum glauben. So fühlt es sich also an, wenn man einen Berg bezwungen hat! Richtigerweise muss man natürlich sagen, wenn man sich selbst bezwungen hat.

Es ist schier nicht zu fassen, dass ich die 3200 Höhenmeter mit meinen eigenen Beinen erklommen habe. Endorphine fluten das Gehirn und nehmen sämtliche Synapsen unter Beschuss. Man liegt sich in den Armen und klatscht sich selbst auf die Schulter – pausenlos. Man fühlt sich unbesiegbar. Kratzer, Blasen an den Füßen, eisige Kälte, Muskelkater, Hunger, Durst, Schmerz, Verzweifelung – alles weg. Der körpereigene Hormon-Cocktail und die aufgehende Sonne vernebeln einem alle Sinne.

Bevor man endgültig erfriert, muss man sich jedoch wieder mit der Realität befassen. Der Abstieg zurück zum Kraterrand wird weitere eineinhalb Stunden dauern und sehr rutschig werden.

Zurück am Zelt wird es ca. 8 Uhr sein und der Trekking-Tag fängt dann erst richtig an. Nach dem Frühstück folgt der Abstieg in den Krater, Mittagessen am See, dann den Kraterrand wieder raufklettern, um auf der anderen Seite zu zelten.

Muskel- und Gliederschmerzen werden nicht besser. An diesem Tag sind wir 14 Stunden auf den Beinen. Das Bad in den heißen Vulkanquellen kann nur wenig Abhilfe schaffen. Beim Abstieg an Tag drei, spürt man die Blasen an den Füßen schon gar nicht mehr. Man ist darauf trainiert, die Warnsignale seines Körpers zu ignorieren. Auf den steilen Pfaden rutscht man aus, fällt hin, steht wieder auf, auch wenn die Knie weich sind und die Beine zittern.

Nein, es macht keinen Spaß, wirklich nicht.

Aber um Spaß geht es beim Trekking anscheinend auch nicht. Es geht auch nicht darum, irgendwo anzukommen und vielleicht geht es noch nichtmal um die Natur. Es scheint in erster Linie um den Kampf mit oder vielmehr gegen sich selbst zu gehen. Es geht um Beharrlichkeit, ums Durchhalten; darum, sich und seine Gedanken zu fokussieren, sich nicht ablenken zu lassen, nicht ans Aufgeben zu denken, seine Schwäche zu überwinden. Und manchmal geht es auch darum, zu erkennen, dass man das Unmögliche möglich machen kann – mit reiner Willenskraft.

Das Erfolgsgefühl ist nachhaltig, auch wenn – das muss nochmal betont werden – es wirklich keinen Spaß gemacht hat. Ich bereue es keinesfalls das Abenteuer gewagt zu haben; Lust auf eine baldige Wiederholung verspüre dennoch nicht.

Aber wer weiß, wie es ist, wenn der Erfolgsrausch in einigen Wochen abklingt. Vielleicht werde ich dann wieder ein Kribbeln in den Beinen spüren und die neuseeländischen Berge rufen hören.

Man soll ja niemals „nie“ sagen.

The wooden boat

Mit der Tauchlizenz in der Tasche reise ich weiter Richtung Westen. Irgendwann muss ich auf Bali ankommen, um meinen Flug nach Australien zu erwischen. Die 500 Kilometer von Flores nach Lombok lege ich in einem Holzboot zurück, denn vom Hörensagen habe ich erfahren, dass das nicht nur eine hervorragende Art zu reisen sei, sondern auch, um die die auf dem Weg liegenden Inseln zu erkunden.

Das Boot fasst 25 Passagiere aber ich muss mir den Platz nur mit einem kanadischen Pärchen teilen. Das habe ich nicht nur der Nebensaison zu verdanken, sondern auch der Tatsache, dass der seicht vor sich hinqualmende Mount Agung auf Bali anscheinend zahlreiche Urlauber der nördlichen Hemisphäre dazu veranlasst hat, ihren Indonesien-Urlaub gleich ganz abzusagen. Für die meisten scheint das Land, dessen Ausmaße man nur als gewaltig beschreiben kann, sich nur auf die Ferieninsel zu erstrecken. Eine Katastrophe für die Tourismusbranche hier, ein Glück für mich.

Wir drei haben jede Menge Platz auf dem doch recht großen Schiff und die sechsköpfige Crew hat verhältnismäßig wenig zu tun. Für sie ist die Fahrt auch eine Art Urlaub. Wir erkunden die Inseln des Komodo-Nationalparks, machen Fotos mit den bis zu drei metergroßen Komodowaranen und schnorcheln mit Schildkröten und Mantarochen.

Wir haben alle drei die „Deckklasse“ gebucht, das heißt, unsere Unterbringung besteht aus einer Isomatte, die wir nach Belieben auf dem Schiff platzieren können. Man rollt zwar bei jeder Welle runter, aber den Sternenhimmel beim einschlafen zu sehen, ist einfach unbezahlbar. Wir stehen ohnehin jeden Tag früh auf, sei es um den Sonnenaufgang vom höchsten Berg der Insel Padar zu genießen oder um eine morgendliche Wanderung zum Wasserfall auf Palau Moyo zu unternehmen.

Ich frage mich zwischendurch mal, wie die Crew das Schiff überhaupt navigiert, so ganz ohne irgendein Instrument. Wenn ich Segeln gehe, gibt es auf den Yachten Radar, Kartenplotter mit AIS, Funk und allerlei technischen Schnickschnack, der auf dem „wooden boat“ offenbar überflüssig ist. Nun ja, die Crew wird schon wissen, was sie tut. Jedenfalls wussten sie es auch, als die Ruderkette gerissen ist – einfach eine Leine dazwischen geknotet und weiter gings. Ob sie es auch wussten, als sich nachts der Anker gelöst hat oder sie mich eine halbe Stunde lang haben fahren lassen, sei mal dahingestellt.

Die Frage nach der Navigation quittiert der Kapitän jedenfalls mit einem Lachen. Meistens würde man ja die Küste sehen und nachts könne man einfach auf die anderen Boote achten. Das habe ich bei meinem Bootsführerschein zwar geringfügig anders gelernt, aber ich bin hier ja auch nicht verantwortlich. Zum Glück bin ich auch nicht fürs Kochen verantwortlich, sondern die Crew; und so gibt es jeden Tag das, was gerade angebissen hat oder beim Schnorcheln eingesammelt wurde.

Kurz vor Lombok legen wir noch einen ungeplanten Zwischenstopp auf der kleinen Insel Medang ein. Auf dem Heimateiland des Kapitäns lernen wir seine drei Frauen kennen und sind bei ihm zu Hause zum Essen eingeladen. Außerdem sammeln wir noch ein paar Inselbewohner ein, die auch nach Lombok wollen. Als die zwölfjährigen Nachbarskinder uns auf ihren Motorrädern die Insel zeigen, wird uns klar, dass vermutlich noch nie ein Tourist einen Fuß auf dieses Land gesetzt hat, denn wir sind eine Attraktion – und gern gesehene Gäste in jeder Hütte.

Nachdem wir wieder abgelegt haben und die Nacht hereinbricht, können wir Sternschnuppen zählen während am Horizont schon die ersten Lichter Lomboks zu erahnen sind.

Unter Wasser

In Indonesien starte ich auf der Insel Flores, wo ich auf dem kleinsten Flughafen aller Zeiten in Labuan Bajo ankomme. In der kleinen Hafenstadt selbst ist nicht viel los. Die Kulisse hat sich im Vergleich zu Singapur wieder radikal verändert. Die Menschen wohnen in Hütten und die Straßen sind staubig. Fünf mal am Tag ruft der Muezzin zum Gebet, weil in Labuan Bajo – im Gegensatz zum Rest der Insel – verhältnismäßig viele Moslems leben. Es erinnert ein wenig an Kambodscha, scheint aber gleichzeitig nicht halb so arm zu sein. Das Highlight ist der Fischmarkt am Hafen, wo die Fische ohne Eis auf den Tischen liegen. Man sucht sich den Fisch einfach nach Farbenpracht und Schönheit durch zeigen aus und kann sich sogleich selbst – mittels eines Blickes in die Kiemen – davon überzeugen, dass er seinen letzten Atemzug vor weniger als einer Stunde getan hat.

Fische sind auch der Grund, warum es mich hierher verschlagen hat. Allerdings nicht die auf dem Teller, sondern die lebenden unter Wasser. West-Flores grenzt an den knapp 2000 Quadratkilometer großen Komodo-Nationalpark, der zu einem guten Drittel aus Inseln besteht, die die Heimat der legendären Riesenkomodowarane sind und zu zwei Dritteln aus Wasser. Hier – so heißt es – sei eines der besten Tauchreviere der Welt; und ich will tauchen lernen.

Meine Basis für dieses Unterfangen wird das „Komodo Dragon Dive Hostel“. Eine bunte Oase zwischen den eher slumartig wirkenden Hütten, erdacht und vor fünf Monaten erbaut und eröffnet von Manu, einem französischen Visionär, der hier mit Ende Zwanzig seinen Traum lebt. Er war selbst die meiste Zeit seines Lebens ein Reisender und hat einen Ort für Reisende geschaffen, der kaum Wünsche offen lässt. Nur die Nachbarn waren anfangs nicht begeistert, hatten sie doch von ihren Fenstern nun besten Blick auf leichtbekleidete Mädels am Pool. Na ja, vielleicht waren es auch eher die Ehefrauen der Nachbarn, die ihre Männer, die nun häufiger mit dem Handy filmend am Fenster zu sehen waren, auch mal wieder von vorn sehen wollten. Eine große bunte Sichtschutzwand konnte den Frieden schließlich wieder herstellen.

Hier im Hostel hängen die Tauchlehrer abends zusammen mit den Travellern und Tauchschülern beim Bier ab, während alle durch das gemeinsame Interesse zusammengeschweißt sind. Bierpong-Turniere und Erfahrungsaustausch gehen hier Hand in Hand.

Tauchen ist ein bisschen wie Segeln: Macht man es das erste Mal, dann scheint es furchtbar kompliziert; und so heißt es auch erstmal Theoriewissen büffeln und sich mit dem umfangreichen Equipment vertraut machen, bevor es rausgeht. Was ich dann am nächsten Tag erfahre, als ich die Luft aus meiner „BC-Weste“ ablasse und abtauche, lässt sich nur schwer beschreiben. Die ersten Atemzüge unter Wasser sind wie ein kleines Wunder. Die Natur ist ausgetrickst, das Unmögliche ist möglich geworden. In etwa so, wie wenn man das erste Mal in einem Flugzeug sitzt. Unterwasser ist es allerdings deutlich interessanter als in der Luft, denn hier ist tatsächlich eine weitere Welt, von der ich vorher bestenfalls eine grobe Ahnung hatte, deren tatsächliche Existenz mich dann aber doch in großes Erstaunen versetzt. Endlose bunte Korallenriffe und die gesamte Besetzung aus „Findet Nemo“ in tausendfacher Ausführung. Vielleicht bin ich auch deshalb so verblüfft, weil ich irgendwie angenommen habe, dass der Mensch all diese Wunder längst zerstört habe und bunte Fische nur noch in Aquarien und Animationsfilmen existieren. Aber hier ist alles echt, alles ist wirklich da, vor meiner Nase.

Man muss sich anfangs wirklich konzentrieren, dass man vor lauter Staunen nicht vergisst, sich noch um die zahllosen Dinge zu kümmern, die den Aufenthalt hier überhaupt möglich machen. Man kann zwar in knapp zwanzig Meter Tiefe atmen, als wäre man an der Oberfläche, aber man ist nicht an der Oberfläche sondern dort, wo kein Mensch für gewöhnlich lebensfähig ist. Alles muss man ständig im Blick haben: Atmung, Auftrieb, Atemluft, den Dive-Buddy, den Tauchlehrer, die Korallen, die Strömung und so weiter. Auch das ist wie beim Segeln: Wirklich gefährlich ist es nicht, solange man alles im Blick hat und keine Fehler macht, bzw. wenn man welche macht, nicht in Panik ausbricht. Aber wenn man das erste unwohlige Gefühl erstmal überwunden hat, dann fällt es leicht, nicht in Panik auszubrechen, denn alles ist unfassbar friedlich hier unten. Alle Meeresbewohner gehen gelassen ihren Geschäften nach, während man zum Blubbern der eigenen Atmung schwerelos als Gast dabei zusehen darf. Niemand lässt sich hier von uns stören. Ich hatte zunächst befürchtet, das vielleicht einige potentiell gefährliche Tierchen es wenig lustig finden, wenn man in ihren Lebensraum eindringt. Aber Scorpion-, Stein-, Löwen- und Rotfeuerfische denken gar nicht daran, streit mit uns anzufangen. Stachelrochen und Muränen liegen friedlich am Boden und warten auf ihre Beute, zu der wir offensichtlich nicht gehören und als wir die ersten – immerhin eineinhalbmeter großen – Riffhaie sichten, suchen diese lieber schnell das Weite, anstatt uns ein Bein abzubeißen. Nur die riesigen Manta-Rochen mit ihrer Spannweite von vier Metern sind neugierig und schauen interessiert unseren ersten Gehversuchen hier unten zu. Obwohl noch bis vor kurzem unter Seeleuten zahlreiche Horrorgeschichten über die anmutigen Tiere kursierten, sind sie völlig harmlose Planktonfresser, die mit Sicherheit noch niemals ein Schiff samt Besatzung in die Tiefe gerissen haben. Direkt neben so einem riesigen Tier im Wasser zu schweben, gehört auf alle Fälle zu den eindrucksvollsten Erfahrungen, die ich bislang auf meiner Reise gemacht habe. Einige der erfahreneren Taucher haben mir jedoch gleich mit auf den Weg gegeben: Gewöhn dich nicht dran, es ist nicht überall so schön.

Beinahe möchte man annehmen, dass die Welt hier unten noch in Ordnung sei, aber das ist sie natürlich nicht. Fast alle dieser Tiere sind in irgendeiner Form durch den Menschen bedroht, sei es weil sie köstlich sind oder wichtiger Bestandteil von traditioneller chinesischer Medizin. Noch offensichtlicher ist aber auch hier in Indonesien die Vermüllung der Ozeane. An der Oberfläche ist es haarsträubend aber auch unter der Oberfläche sieht man dann und wann Plastikmüll. Ich bin kein Ökofreak, aber um zu erkennen, dass das alles katastrophale Auswirkungen hat und haben wird, braucht es nur ein bisschen gesunden Menschenverstand. Vom Offensichtlichen mal abgesehen, muss man sich auch klar machen, dass die ganzen Fische, die das Plastik essen, früher oder später auch auf unseren Tellern landen – und sei es, weil ein kleiner Fisch im Bauch eines Thunfischs landet, der dann schon morgen auf einer Berliner Pizza liegt. Ich nehme mir vor, irgendeine Organisation zu unterstützen, die sich den Schutz der Ozeane auf die Flagge geschrieben hat. Man kann nicht aufhören, sich zu fragen, warum zum Teufel das hier niemanden ernsthaft zu interessieren scheint. Mein Bewusstsein für die Müllproblematkik ist durchs Tauchen zwar in diesem Moment besonders geschärft, was jedoch nicht heißen soll, dass es in den übrigen Ländern Südostasiens auch nur ein bisschen besser wäre – im Gegenteil. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, diese großartigen Lebensräume zu retten.

Nach drei Tagen halte ich dann endlich meine „Open Water Diver“-Lizenz in den Händen. Der Grundstein für ein weiteres exorbitant teures Hobby wäre damit also gelegt und ich kann nur jeden warnen: Es macht sehr, sehr schnell süchtig.

Disneyland mit Todesstrafe

Dem Zufall – oder vielmehr dem Vulkan auf Bali – habe ich es zu verdanken, dass ich zwei Tage in Singapur bin. Auf meiner ursprünglichen Route war der Stadtstaat eigentlich nicht vorgesehen, weil er bekanntermaßen exorbitant teuer ist. Und so treffe ich in meinem Hostel auch keine anderen Backpacker sondern nur Leute, deren Aufenthaltszweck sich mir nicht wirklich erschließt, die sich aber offensichtlich auch nichts anderes leisten können. Mit 15 Euro pro Nacht ist es hier viermal so teuer wie in Vietnam – dafür kriegt man aber dreimal so wenig Komfort geboten.

Die Stadt dagegen ist durchaus sehenswert. Ich wette, jeder Architekt würde beim Spaziergang um die Marina Bay ganz wuschig werden. Alles wurde hier sorgsam am Reißbrett arrangiert und wenn die Sonne hinter der Skyline verschwindet und alles zu leuchten beginnt, dann kommt man sich vor wie in einem kleinem Wunderland. Hier fahren die U-Bahnen längst ohne Fahrer und die Rentner haben Chipkarten, mit denen sie an den Ampeln die Grünphasen für Fußgänger verlängern können. Es gibt ausgezeichnetes Essen und superschicke Bars mit Bier für 12 Euro, wo das blasse Bürovolk sich den Feierabend schöntrinken kann. Es ist ein Disneyland für „white collar worker“. Ein Disneyland mit strengen Regeln und drakonischen Strafen. Nirgends darf man Rauchen und tut man es doch, muss man gleich ein halbes Jahresgehalt Strafe bezahlen. Für den Besitz kleinster Mengen Gras wird man hingerichtet und was immer auch in Singapur als unangemessenes Verhalten gegenüber Frauen gelten mag, kann mit Prügelstrafe geahndet werden. Man kann hier zwar in jeder Bar sein iPhone auf dem Tisch liegen lassen, während man aufs Klo geht, kann dann aber keinesfalls sicher sein, nicht dafür bestraft zu werden im Stehen zu pinkeln. Ständig fragt man sich, ob Dieses oder Jenes erlaubt ist oder ob das Überqueren der Straße bei Rot gleich mit 1000 Singapur-Dollar zu Buche schlägt. Essen und trinken in der U-Bahn ist jedenfalls mit 300 Euro aufwärts bepreist.

In Phnom Penh musste man sich „nur“ darum sorgen, nicht überfallen zu werden, was unterm Strich sicher günstiger gewesen wäre, als hier ein (ohnehin verbotenes) Kaugummi auf die Straße zu spucken. Hier muss man sich bei jedem Schritt unter den allgegenwärtigen Kameras und Dronen fragen, ob man nicht gegen irgendein unsinniges Gesetz verstößt. Der Chillfaktor leidet jedenfalls ein wenig unter dieser Polizeistaatmentalität.

Natürlich schaue ich auch im Marina Bay Sands Hotel vorbei – jedenfalls um einen Blick von der Aussichtsplattform zu werfen. Bei meinem Streifzug durch den Luxusbunker kommt mir mein Fünf-Sterne-Hotel in Kuala Lumpur wie ein Rattenloch vor. Wie wäre es wohl, hier für eine Woche abzusteigen? Zimmer neben der Stadtautobahn gibt es schon für 300€ die Nacht. Der riesige Dachgarten, der natürlich nur für Hotelgäste zugänglich ist, sieht durchaus verlockend aus. Ich überlege eine Sekunde lang, einen Aufenthalt hier auf meine Bucket-List zu setzen, bevor mir klar wird, wie lächerlich der Gedanke ist. Ein Hotelaufenthalt für mehrere tausend Euro auf der Bucket-List? Wenn es so weit gekommen ist, hat man wohl endgültig das Wesentliche aus den Augen verloren. Außerdem möchte ich mich keinesfalls unter diese neureichen Prolls mischen, die hier über die Gänge stolzieren. Der Blick von der Aussichtsplattform ist trotzdem atemberaubendend.

Beim anschließenden Spaziergang durch die Innenstadt versuche ich eine Bar zu finden, in der man auch in Shorts und T-Shirt einkehren kann und nicht den Gegenwert einer Nacht im Hostel für ein Bier auf den Tresen legen muss. Während ich umherstreife, wird mir klar, was das Problem der Stadt ist: Sie hat keine Seele. Wie ein perfekter Körper ohne Geist. Eine Hülle wie eine bunte Filmkulisse ohne Leben hinter den Fenstern. Es gibt keine alternative Szene und keine Kunst – jedenfalls keine, die nicht eingekauft wurde.

Obwohl hier Menschen aus aller Herren Ländern mit verschiedensten Religionen friedlich zusammenleben, zeichnet sich die Stadt durch völlige Abwesenheit von Kultur aus. Die Stadt scheint einfach keinen fruchtbaren Boden für die Entfaltung von künstlerischer Kreativität zu bieten.

Irgendwie scheint man sich dieses Problems in Singapur auch bewusst zu sein, denn man kann durchaus Anstrengungen erkennen, die Stadt zu einem Ort der Kunst zu machen. Auf staatliches Betreiben hin wurden Museen eröffnet und internationale Galeristen in die Stadt gelockt. Dem liegt natürlich das Missverständnis zu Grunde, dass der Import einer Kunstbranche gleichbedeutend mit der Etablierung einer Kunstkultur sei. Eine solche Kultur setzt jedoch mindestens die Anwesenheit von Künstlern voraus, von denen sich nach wie vor kein Einziger hierher verirren würde. Die Einsicht, dass man Kultur nicht kaufen kann, wird sich in einer Stadt, in der Geld das Wichtigste ist, wohl niemals durchsetzen. Kultur kann nur organisch wachsen. Und genau das ist das Dilemma dieser Hauptstadt des Designs, denn das organisch Gewachsene ist stets der natürliche Feind des Designs.

KL

KL, so nennen Einheimische (und jeder, der das mal aufgeschnappt hat – also auch ich) die Hauptstadt Malaysias, Kuala Lumpur. Ich mache hier ein paar Tage Zwischenstopp und weil ich mal irgendwo gelesen habe, dass man hier in 5-Sterne-Hotels für den Preis einer Tankfüllung absteigen kann, sitze ich gerade in einem 40-Quadratmeter-Zimmer mit Blick auf die Skyline und im einem Klo mit integriertem Bidet.

Lustig, denke ich: Gestern habe ich noch in einer runtergerockten Hanoier Altstadt-Bar Happy-Ballons konsumiert und heute lasse ich mich mit „Sir“ anreden und muss mich im „Club“ des Hotels an den Dresscode halten. From rags to riches; na ja nicht ganz, denn in meinem Budget sind solche Eskapaden eigentlich nicht vorgesehen. Aber was soll’s? Ich mache hier eh was ich will.

Kuala Lumpur ist auf eine Art eine unwirkliche Stadt. Eine Stadt, von der man weiß, dass sie existiert aber auch nicht viel mehr. Natürlich kannte ich die ikonische Skyline mit den Petronas-Twin-Towers, aber ehrlich gesagt, wusste ich vor ein paar Jahren noch nichtmal wo Malaysia genau liegt.

Ich nutze meine Luxussuite zum Durchatmen, ich fühle nämlich eine leichte Reiseerschöpfung. Es ist kein Heimweh, aber mein Interesse an der Stadt da unten vor meinem Fenster hält sich gerade irgendwie in Grenzen. An meinem riesigen Schreibtisch schreibe ich ein paar längst überfällige E-Mails und skype mit diversen Menschen, die mir wichtig sind.

Nachdem die Twin-Towers erklommen und die wichtigsten Eckpunkte der Stadt abgegrast sind, packe ich meinen Rucksack, um zum Flughafen zu fahren. Strand und Sonne auf Bali werden mein Gemüt schon wieder aufhellen. Eine Stunde bevor ich los will, checke ich nochmal den Flugstatus und stelle fest, was nicht ganz unvorhersehbar war, bislang jedoch von meiner optimistischen Einstellung erfolgreich beiseite geschoben wurde: Der Flug ist wegen des Vulkanausbruchs gestrichen. Das fällt AirAsia natürlich drei Stunden vor Abflug ein und das, obwohl der Flughafen auf Bali noch nichtmal geschlossen ist – im Gegensatz zu dem auf Lombok, weshalb spontanes Ausweichen dorthin auch nicht möglich ist.

Immerhin bin ich noch nicht am Flughafen und ziehe erstmal in ein Hostel um, um die laufenden Kosten wieder auf ein handhabbares Niveau zu drücken. Im Hostel suche ich andere Flugrouten nach Indonesien; ich bin allerdings nicht der einzige und die Preise gehen durch die Decke.

Eigentlich wollte ich auch die S. – mit der ich schon zusammen auf der Transsib war – auf Bali treffen. Lange haben wir überlegt, wann und wo sich unsere Wege wieder kreuzen würden. Die letzte Gelegenheit ist nun vom Vulkan endgültig weggepustet worden.

Jetzt fühle ich mich noch erschöpfter. Ich gehe eine Runde spazieren, aber die Stadt nervt mich. Als ich – wieder im Hostel – auf meinem Bett liege, vibriert mein Handy. Ich hatte meinen Vermieter gefragt, ob er die Untervermietung meiner Wohnung noch ein paar Monate länger genehmigen würde. Er schreibt, ich solle die Wohnung gleich komplett an ihn zurückgeben, „das wäre wohl für alle das Beste“. Ich habe ja schon immer geahnt, dass er wahnsinnig ist und war froh, dass er mich bislang in Ruhe gelassen hat. Jetzt hab ich es schwarz auf weiß, dass er nicht mehr alle Tassen im Regal hat. Natürlich ist mir klar, dass er mich nicht einfach rauswerfen kann, aber die Vorstellung, das mit ihm vom Ende der Welt aus zu diskutieren, lässt Übelkeit in mir aufkommen. Die Vorstellung einige Monate auf die Mietzahlungen der Untermieterin zu verzichten auch.

Ich möchte den Mülleimer in meinem Dorm weggetreten, aber ich bin zu müde. Ich fühle ich mich leer und ein wenig verloren. Nicht, weil mich die Sache mit der Wohnung finanziell ruinieren würde oder weil ich ernsthaft befürchte, keinen Weg nach Indonesien zu finden, es ist einfach ein kurzzeitiger Krisenzustand, hervorgerufen durch widrige Umstände gepaart mit Erschöpfung. Jeder Reisende kennt das Gefühl, wenn mal alles zu viel wird und man nur noch kotzen möchte. Ja, auch das gehört dazu und es trifft Jeden mal. Vielleicht muss es ja so sein, denke ich, vielleicht kann man die Hochs ohne die Tiefs ja auch gar nicht richtig wertschätzen. Solche pseudoschlauen Erkenntnisse helfen in der Situation selbst aber natürlich kein bisschen weiter.

Ich gehe runter ins Restaurant, bestelle Essen, habe aber keinen Hunger. Eigentlich will ich ins Bett und diesem Tag durch Schlaf endgültig entfliehen, aber ich bin ruhelos. Ich gehe in die Rooftop-Bar und trinke den Gin-Tonic, den jeder Gast als Welcome-Drink bekommt. Ich suche Zuspruch und körperliche Nähe und finde sie bei einer anderen Backpackerin, die dort ebenfalls allein sitzt.

Am nächsten Tag kommt die K. ins Hostel. Der ausgefallene Flug hat uns ein unerwartetes Wiedersehen beschert. Auch sie kennt natürlich diese kleinen Krisen, die einen dann und wann ereilen. Wir betrinken uns auf der Dachterrasse und versinken in endlose Gespräche über das Reisen und das Leben, während die Petronas-Towers in der Skyline funkeln, als sei das hier New-York. Irgendwie surreal alles.

Am nächsten Morgen buche ich beim Frühstück Flüge nach Singapur und Flores, während die Sonne sich langsam ihren Weg durch die Wolken bahnt.

Silver lining.

Home Noi

Hanoi hat eine besondere Bedeutung für mich erlangt, denn es ist bislang der einzige Ort meiner Reise, an den ich vier Mal zurückgekehrt bin. Die Stadt ist damit zu einem merkwürdig vertrauten Ort geworden, an dem die Mitarbeiter des fabulösen Cocoon Inn Hostels mich schon mit „welcome back“ begrüßen.

Ich mag Hanoi. Nicht nur weil ich mittlerweile weiß, wo es das beste Streetfood gibt, sondern auch weil in der Altstadt so ein gemütliches Chaos herrscht. Nicht so ein stressiges Chaos, wie in Bangkok oder Shanghai, nein, ein entspanntes Chaos. Überwältigende Sehenswürdigkeiten gibt es indes nicht. Vielmehr sind es die kleinen Dinge, die man entdeckt, wenn man sich ein Stück vom Gewusel der engen Gassen treiben lässt. Da ist zum Beispiel der Bun-Cha-Laden, in dem schon Obama gespeist hat – kein Sterne-Restaurant, eher einer dieser kleinen versteckten Läden, in denen es keine Hygiene-Standards gibt, das Essen dafür aber umso besser schmeckt. Man kann hier die Obama-Combo bestellen: Bun Cha, Beer Ha Noi und eine frittierte Seafood Frühlingsrolle.

In Hanoi vergeht die Zeit wie im Flug, ohne dass man von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzt. Man kann hier stundenlang im Café sitzen und dem geschäftigen Treiben zusehen, während der typische, vietnamesische Kaffee quälend langsam aus seinem silbernen Filtertöpfchen auf die süße und zähflüssige Kondensmilch am Boden des Glases tropft.

Wir trinken ein Bier auf der Trainstreet, die eigentlich keine Straße, sondern eine Eisenbahntrasse ist. Trotzdem sind links und rechts kleine Geschäfte und Bars für die Locals die hier in ihren offenen Wohnzimmern nur wenige Zentimeter von den vorbeirauschenden Zügen entfernt vor ihren Fernsehern sitzen. Die Besitzerin des Train-Cafés weist uns an, in der Mitte zwischen den Gleisen Platz zu nehmen, da der Rand des Gleisbetts den Locals als Bürgersteig dient und diese wenig Lust haben, über biertrinkende Traveller hinwegzuklettern. Der vietnamesische Fahrplan ist bestenfalls eine grobe Empfehlung und so weiß man nie genau, wann sich hier ein Zug sein Terrain zurückerobert. Wir kriegen es natürlich nicht mit, als die Straßen, die die Trainstreet kreuzen, gesperrt werden, aber die Besitzerin hat nicht zum ersten Mal Touristen in ihrem Café sitzen und scheucht uns auf. In Windeseile schnappen wir unsere Biere und die für Vietnam typischen winzigen Plastikstühlchen, auf denen wir sitzen und drücken unsere Rücken gegen die Wände der angrenzenden Häuser. Ich traue meinen Augen nicht, als nur wenige Sekunden später tatsächlich ein Zug zehn Zentimeter vor meiner Nase durch die Gasse brettert. Keine Lore und kein Schienenbus – ein richtiger Fernzug, der so hoch ist, wie die angrenzenden Hütten und keinen Gedanken daran verschwendet, die Geschwindigkeit zu drosseln, nur weil er gerade durch eine Fußgängerzone rast. Ein Erlebnis, dass ich ganz sicher nie vergesse und ich kriege einen Lachkrampf, wenn ich mir den Gesichtsausdruck eines deutschen Ordnungsbeamten vorstelle, der diese Szene mitansehen müsste. Wie viele Unfälle es hier schon gegeben hat, bringe ich mal besser nicht in Erfahrung.

Hier in Hanoi habe ich auch mein erstes Thanksgiving gefeiert. D. und ein paar andere Amerikaner haben darauf bestanden, als ginge es um Weihnachten oder noch was Wichtigeres. So komme ich in Vietnam noch zu Truthahn mit Preisselbeeren, Kartoffelbrei und Bratensoße. Ist der Sinn von Thanksgiving eigentlich, dass man sich überlegt, wofür man so dankbar ist im Leben? Falls ja, müsste ich nicht lange nachdenken. Eine Aufzählung an dieser Stelle ist jedoch nicht nötig; es genügt, wenn man für sich selbst Gewissheit hat. Ich sehe in die Runde von Fremden, die zu Freunden geworden sind und werde ein bisschen wehmütig. Es ist unser letzter gemeinsamer Abend, meine letzte Nacht in Hanoi und auch in Vietnam – und es war eine verdammt gute Zeit. Morgen früh geht mein Flug nach Kuala Lumpur.

True north

Nach einem weiteren Zwischenstopp in Hanoi brechen wir in den Norden auf, um zu Wandern und eine Motorradtour zu unternehmen. Der Norden gehört – glaubt man den Leuten – zu den „must sees“ in Vietnam. Aber was gehört hier eigentlich nicht dazu, in diesem vielseitigen Land? Traditionell ist Sapa im Norden der erste Anlaufpunkt, aber der Bus dorthin war im Hostel bereits ausgebucht. Am Busbahnhof finden wir einen Schlepper, der uns in unseriösester Weise zu einem anderen Busunternehmen überredet. Was solls? Sapa oder nicht Sapa ist hier die Frage.

Als wir in Sapa ankommen sehen wir: nichts. Die Stadt in den Bergen ist in dichten Nebel gehüllt und außerdem ist es bitterkalt. Überraschung: In Nord-Vietnam gibt es vier Jahreszeiten und gerade ist Winter. Hier hat man im November auch schon mal Schnee gesehen. Alles erinnert an einen Skiort in den Alpen: Bars mit Musik, Läden mit (allerdings gefälschten) North-Face-Klamotten und steile Bergstraßen. Für einen ganz kurzen Moment bekomme ich Lust, Ski zu fahren und vermisse den europäischen Winter. Der Moment ist allerdings wirklich sehr kurz und schnell wird uns klar, dass es keinen Grund für uns gibt, hier länger zu verweilen. Am nächsten Tag brechen wir also nach Ha Giang – ebenfalls im Norden – auf. Der Kleinbus ist dermaßen überfüllt und unbequem, dass die achtstündige Fahrt es mühelos in meine Top 5 der furchtbarsten Busfahrten auf dieser Reise schafft. Die mörderische Fahrweise des sogenannten Busfahrers wird auch nicht besser, als er seine Nerven in der Mittagspause mit einem großem Bier beruhigt; seine Lust auf asiatischen Trash-Techno in voller Lautstärke leider auch nicht.

In Ha Giang angekommen, ist das Wetter jedenfalls trocken und wir organisieren uns Motorräder. Eine Motorradtour gehört in Vietnam zum Pflichtprogramm und wer sich nicht gleich für 100 Dollar ein Motorrad kauft und damit quer durchs Land fährt, der mietet eben eins für ein paar Tage. Ursprünglich hatte ich das schon in Hoi An geplant, aber der Taifun Damrey hatte für den Landstrich zu der Zeit bekanntermaßen andere Pläne. Jetzt aber starten wir mit ca. 15 Leuten zum legendären „Northern Loop“. Unsere Karawane schlängelt sich die Serpentinen hoch und es ist ein großartiges Gefühl nach den ganzen Busfahrten endlich wieder selbst Gas zu geben. Die Straßen entsprechen ebensowenig europäischen Standards, wie die Verkehrssitten. Es geht durchaus abenteuerlich zu auf den engen Pässen. LKWs überholen einen bergab und wollen bergauf selbst überholt werden. Busse tauchen mit ungeheuerer Geschwindigkeit hinter den Felswänden auf und seine Begleiter muss man ebenfalls stets im Blick haben.

Da ich mit einigen Anderen eine zweistündige Hotpot-Mittagspause einlege, teilt sich die Gruppe am Nachmittag und weil mein Kumpel D. vietnamesisch spricht, pfeifen wir auf die Karte und auf Google Maps. Wir fragen die Einheimischen nach dem Weg. Ein Fehler, wie sich bald herausstellt, denn der uns gewiesene Weg ist zwar der kürzeste aber nicht der komfortabelste. Wir nehmen die Abkürzung und fahren direkt über den Berg. Die Straße, die auf keiner Karte verzeichnet ist, befindet sich in einem Zustand irgendwo zwischen zerstört und im Bau. Erdrutsche und Steinschläge bestimmen das Bild und unsere Motorräder ächzen unter der Last, als sie sich durch Schlamm und Geröll wühlen. Die Sichtweite beträgt zwischendurch weniger als zwei Meter und ich habe ein Skiunterhemd, drei T-Shirts, einen Hoodie, eine Softshelljacke und eine Regenjacke übereinander an. All das Zeug, das ich monatelang nutzlos mitgeschleppt habe, hat heute seine Daseinsberechtigung zurückerlangt. Wir fühlen uns wie richtige Abenteuerer, Pioniere im Nirgendwo. Dass es nicht ganz ungefährlich ist, macht das Gefühl nur intensiver. Das hier ist kein Sprung an einem TÜV-geprüften Bungee-Seil, das ist das wahre Leben und wir fühlen uns sehr lebendig in diesem Moment.

Als wir Abends im Homestay mit 20er-Schlafsaal die anderen wieder treffen und wir nach der ersten Etappe bei Bier und Musik zusammensitzen, erlebe ich einen dieser kostbaren Momente von Glückseligkeit. Einer der Momente, in denen man erkennt, dass es gut ist, wie es ist; in denen man weiß, warum man hier draußen ist und nicht im Neonlicht irgendeines Büros. Kein abgeschlossenes Projekt und kein gewonnenes Gerichtsverfahren vermögen diesen wahrhaftigen Rausch zu erzeugen. Es geht mir nicht allein so.

Die nächsten beiden Tage sind wettertechnisch eine Herausforderung. Nässe, Nebel und Kälte machen uns zu schaffen. Wir kämpfen mit den Unzulänglichkeiten unserer Maschinen: Die Herausforderung einen steilen Pass hinabzufahren wird ohne Bremsbelege nicht gerade kleiner. „Vietnam halt“, sagen wir uns und lachen. Was will man auch erwarten für fünf Dollar am Tag? Belohnt werden wir mit atemberaubenden Ausblicken und dem Gefühl unbegrenzter Freiheit. Am Ende bin ich froh, dass es noch geklappt hat mit mir, Vietnam und dem Motorrad. Von kleineren Stürzen mal abgesehen haben wir das Abenteuer alle heil überstanden. Vielleicht werde ich eines Tages zurückkommen und das Land komplett mit dem Motorrad bereisen.

Dann aber im Sommer.