Home Noi

Hanoi hat eine besondere Bedeutung für mich erlangt, denn es ist bislang der einzige Ort meiner Reise, an den ich vier Mal zurückgekehrt bin. Die Stadt ist damit zu einem merkwürdig vertrauten Ort geworden, an dem die Mitarbeiter des fabulösen Cocoon Inn Hostels mich schon mit „welcome back“ begrüßen.

Ich mag Hanoi. Nicht nur weil ich mittlerweile weiß, wo es das beste Streetfood gibt, sondern auch weil in der Altstadt so ein gemütliches Chaos herrscht. Nicht so ein stressiges Chaos, wie in Bangkok oder Shanghai, nein, ein entspanntes Chaos. Überwältigende Sehenswürdigkeiten gibt es indes nicht. Vielmehr sind es die kleinen Dinge, die man entdeckt, wenn man sich ein Stück vom Gewusel der engen Gassen treiben lässt. Da ist zum Beispiel der Bun-Cha-Laden, in dem schon Obama gespeist hat – kein Sterne-Restaurant, eher einer dieser kleinen versteckten Läden, in denen es keine Hygiene-Standards gibt, das Essen dafür aber umso besser schmeckt. Man kann hier die Obama-Combo bestellen: Bun Cha, Beer Ha Noi und eine frittierte Seafood Frühlingsrolle.

In Hanoi vergeht die Zeit wie im Flug, ohne dass man von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzt. Man kann hier stundenlang im Café sitzen und dem geschäftigen Treiben zusehen, während der typische, vietnamesische Kaffee quälend langsam aus seinem silbernen Filtertöpfchen auf die süße und zähflüssige Kondensmilch am Boden des Glases tropft.

Wir trinken ein Bier auf der Trainstreet, die eigentlich keine Straße, sondern eine Eisenbahntrasse ist. Trotzdem sind links und rechts kleine Geschäfte und Bars für die Locals die hier in ihren offenen Wohnzimmern nur wenige Zentimeter von den vorbeirauschenden Zügen entfernt vor ihren Fernsehern sitzen. Die Besitzerin des Train-Cafés weist uns an, in der Mitte zwischen den Gleisen Platz zu nehmen, da der Rand des Gleisbetts den Locals als Bürgersteig dient und diese wenig Lust haben, über biertrinkende Traveller hinwegzuklettern. Der vietnamesische Fahrplan ist bestenfalls eine grobe Empfehlung und so weiß man nie genau, wann sich hier ein Zug sein Terrain zurückerobert. Wir kriegen es natürlich nicht mit, als die Straßen, die die Trainstreet kreuzen, gesperrt werden, aber die Besitzerin hat nicht zum ersten Mal Touristen in ihrem Café sitzen und scheucht uns auf. In Windeseile schnappen wir unsere Biere und die für Vietnam typischen winzigen Plastikstühlchen, auf denen wir sitzen und drücken unsere Rücken gegen die Wände der angrenzenden Häuser. Ich traue meinen Augen nicht, als nur wenige Sekunden später tatsächlich ein Zug zehn Zentimeter vor meiner Nase durch die Gasse brettert. Keine Lore und kein Schienenbus – ein richtiger Fernzug, der so hoch ist, wie die angrenzenden Hütten und keinen Gedanken daran verschwendet, die Geschwindigkeit zu drosseln, nur weil er gerade durch eine Fußgängerzone rast. Ein Erlebnis, dass ich ganz sicher nie vergesse und ich kriege einen Lachkrampf, wenn ich mir den Gesichtsausdruck eines deutschen Ordnungsbeamten vorstelle, der diese Szene mitansehen müsste. Wie viele Unfälle es hier schon gegeben hat, bringe ich mal besser nicht in Erfahrung.

Hier in Hanoi habe ich auch mein erstes Thanksgiving gefeiert. D. und ein paar andere Amerikaner haben darauf bestanden, als ginge es um Weihnachten oder noch was Wichtigeres. So komme ich in Vietnam noch zu Truthahn mit Preisselbeeren, Kartoffelbrei und Bratensoße. Ist der Sinn von Thanksgiving eigentlich, dass man sich überlegt, wofür man so dankbar ist im Leben? Falls ja, müsste ich nicht lange nachdenken. Eine Aufzählung an dieser Stelle ist jedoch nicht nötig; es genügt, wenn man für sich selbst Gewissheit hat. Ich sehe in die Runde von Fremden, die zu Freunden geworden sind und werde ein bisschen wehmütig. Es ist unser letzter gemeinsamer Abend, meine letzte Nacht in Hanoi und auch in Vietnam – und es war eine verdammt gute Zeit. Morgen früh geht mein Flug nach Kuala Lumpur.

True north

Nach einem weiteren Zwischenstopp in Hanoi brechen wir in den Norden auf, um zu Wandern und eine Motorradtour zu unternehmen. Der Norden gehört – glaubt man den Leuten – zu den „must sees“ in Vietnam. Aber was gehört hier eigentlich nicht dazu, in diesem vielseitigen Land? Traditionell ist Sapa im Norden der erste Anlaufpunkt, aber der Bus dorthin war im Hostel bereits ausgebucht. Am Busbahnhof finden wir einen Schlepper, der uns in unseriösester Weise zu einem anderen Busunternehmen überredet. Was solls? Sapa oder nicht Sapa ist hier die Frage.

Als wir in Sapa ankommen sehen wir: nichts. Die Stadt in den Bergen ist in dichten Nebel gehüllt und außerdem ist es bitterkalt. Überraschung: In Nord-Vietnam gibt es vier Jahreszeiten und gerade ist Winter. Hier hat man im November auch schon mal Schnee gesehen. Alles erinnert an einen Skiort in den Alpen: Bars mit Musik, Läden mit (allerdings gefälschten) North-Face-Klamotten und steile Bergstraßen. Für einen ganz kurzen Moment bekomme ich Lust, Ski zu fahren und vermisse den europäischen Winter. Der Moment ist allerdings wirklich sehr kurz und schnell wird uns klar, dass es keinen Grund für uns gibt, hier länger zu verweilen. Am nächsten Tag brechen wir also nach Ha Giang – ebenfalls im Norden – auf. Der Kleinbus ist dermaßen überfüllt und unbequem, dass die achtstündige Fahrt es mühelos in meine Top 5 der furchtbarsten Busfahrten auf dieser Reise schafft. Die mörderische Fahrweise des sogenannten Busfahrers wird auch nicht besser, als er seine Nerven in der Mittagspause mit einem großem Bier beruhigt; seine Lust auf asiatischen Trash-Techno in voller Lautstärke leider auch nicht.

In Ha Giang angekommen, ist das Wetter jedenfalls trocken und wir organisieren uns Motorräder. Eine Motorradtour gehört in Vietnam zum Pflichtprogramm und wer sich nicht gleich für 100 Dollar ein Motorrad kauft und damit quer durchs Land fährt, der mietet eben eins für ein paar Tage. Ursprünglich hatte ich das schon in Hoi An geplant, aber der Taifun Damrey hatte für den Landstrich zu der Zeit bekanntermaßen andere Pläne. Jetzt aber starten wir mit ca. 15 Leuten zum legendären „Northern Loop“. Unsere Karawane schlängelt sich die Serpentinen hoch und es ist ein großartiges Gefühl nach den ganzen Busfahrten endlich wieder selbst Gas zu geben. Die Straßen entsprechen ebensowenig europäischen Standards, wie die Verkehrssitten. Es geht durchaus abenteuerlich zu auf den engen Pässen. LKWs überholen einen bergab und wollen bergauf selbst überholt werden. Busse tauchen mit ungeheuerer Geschwindigkeit hinter den Felswänden auf und seine Begleiter muss man ebenfalls stets im Blick haben.

Da ich mit einigen Anderen eine zweistündige Hotpot-Mittagspause einlege, teilt sich die Gruppe am Nachmittag und weil mein Kumpel D. vietnamesisch spricht, pfeifen wir auf die Karte und auf Google Maps. Wir fragen die Einheimischen nach dem Weg. Ein Fehler, wie sich bald herausstellt, denn der uns gewiesene Weg ist zwar der kürzeste aber nicht der komfortabelste. Wir nehmen die Abkürzung und fahren direkt über den Berg. Die Straße, die auf keiner Karte verzeichnet ist, befindet sich in einem Zustand irgendwo zwischen zerstört und im Bau. Erdrutsche und Steinschläge bestimmen das Bild und unsere Motorräder ächzen unter der Last, als sie sich durch Schlamm und Geröll wühlen. Die Sichtweite beträgt zwischendurch weniger als zwei Meter und ich habe ein Skiunterhemd, drei T-Shirts, einen Hoodie, eine Softshelljacke und eine Regenjacke übereinander an. All das Zeug, das ich monatelang nutzlos mitgeschleppt habe, hat heute seine Daseinsberechtigung zurückerlangt. Wir fühlen uns wie richtige Abenteuerer, Pioniere im Nirgendwo. Dass es nicht ganz ungefährlich ist, macht das Gefühl nur intensiver. Das hier ist kein Sprung an einem TÜV-geprüften Bungee-Seil, das ist das wahre Leben und wir fühlen uns sehr lebendig in diesem Moment.

Als wir Abends im Homestay mit 20er-Schlafsaal die anderen wieder treffen und wir nach der ersten Etappe bei Bier und Musik zusammensitzen, erlebe ich einen dieser kostbaren Momente von Glückseligkeit. Einer der Momente, in denen man erkennt, dass es gut ist, wie es ist; in denen man weiß, warum man hier draußen ist und nicht im Neonlicht irgendeines Büros. Kein abgeschlossenes Projekt und kein gewonnenes Gerichtsverfahren vermögen diesen wahrhaftigen Rausch zu erzeugen. Es geht mir nicht allein so.

Die nächsten beiden Tage sind wettertechnisch eine Herausforderung. Nässe, Nebel und Kälte machen uns zu schaffen. Wir kämpfen mit den Unzulänglichkeiten unserer Maschinen: Die Herausforderung einen steilen Pass hinabzufahren wird ohne Bremsbelege nicht gerade kleiner. „Vietnam halt“, sagen wir uns und lachen. Was will man auch erwarten für fünf Dollar am Tag? Belohnt werden wir mit atemberaubenden Ausblicken und dem Gefühl unbegrenzter Freiheit. Am Ende bin ich froh, dass es noch geklappt hat mit mir, Vietnam und dem Motorrad. Von kleineren Stürzen mal abgesehen haben wir das Abenteuer alle heil überstanden. Vielleicht werde ich eines Tages zurückkommen und das Land komplett mit dem Motorrad bereisen.

Dann aber im Sommer.

Familienausflug: Ha Long Bay

Nach dem Festival herrscht Endorphinkaterstimmung in meiner Teilzeit-Peergroup. Zurück in unserer Basis Hanoi sammeln wir bei vietnamesischem Streetfood neue Kräfte für unseren Trip in die Ha Long-Bucht. Die Bucht gehört unbestreitbar zu den Top-Zielen des Landes. Natürlich ist sie längst kein Geheimtipp mehr und so stellen wir bei unserer Ankunft auf Cat Ba einigermaßen ernüchtert fest, dass die Insel eine große Baustelle ist. Unansehnliche touristische Infrastruktur bestimmt das Bild von Cat Ba Stadt.

Wir beeilen uns daher auf ein Boot zu kommen, um für ein paar Tage in unberührteres Terrain vorzudringen. Über 2000 Karstfelsen ragen in der Bucht hunderte Meter aus dem Wasser. Weltkulturerbe – mal wieder.

Die Schnorchelausrüstung kann man zwar getrost zu Hause lassen, denn unter Wasser ist der Genozid an Korallen und Fischen längst abgeschlossen; über der Wasseroberfläche sieht es jedoch aus, als hätte sich jahrtausendelang nichts verändert. Ich wäre nicht verwundert, wenn jeden Moment eine Seekriegsflotte aus dem Game-of-Thrones-Universum aus den Nebelschwaden hervortreten würde. Wir schlafen auf einer der einsamen Inseln in Bungalows und kajaken durch stockfinstere Höhlen zu grünen Lagunen. Ich muss zugeben, es ist schon recht beeindruckend.

In der Bucht zeigt sich auch mal wieder, wie sehr die Qualität des Reisens von den Leuten abhängt, mit denen man diese Erlebnisse teilt. Nicht immer hat man Glück mit den Menschen, die einem so begegnen, aber wir sind immer noch in unserer bewährten Vierer-Combo unterwegs, die wir liebevoll unsere „Familie“ nennen. Eigentlich ist es hochgradig absurd, wie man sich in diesen kleinen Zweckgemeinschaften zusammenfindet, um dann einige Tage oder gar Wochen alles miteinander zu teilen und sich anschließend wieder in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen. Wer unterwegs nicht vereinsamen will, ist in der Regel zu einem gewissen Grad darauf angewiesen, hin und wieder ein Stückchen mit anderen Leuten zurückzulegen und wenn es gut läuft, kann das äußerst bereichernd sein.

Mit meiner „Familie“ habe ich jetzt schon mehr Zeit verbracht, als mit manchen Schulfreunden seit dem Abitur. Das erzeugt auch eine seltsame Intimität, in der man sich gegenseitig Dinge erzählt, die man sonst niemanden erzählen würde. Wir sind in vielen Belangen auf einer Wellenlänge, trotzdem ist die Gruppe in ihrer zufälligen Zusammensetzung äußerst heterogen. Nein, wir sind sicher nicht alle aus dem gleichen Holz geschnitzt, aber gerade das macht es so interessant und eröffnet einem ganz neue Blickwinkel auf das Leben. Das Wissen, dass man die anderen nach der gemeinsamen Zeit wahrscheinlich nie wieder sehen wird, macht es auch überflüssig sich zu verstellen – man kann einfach sein, wie man ist. Es ist eine Ausnahmesituation, die nur unter den außergewöhnlichen Umständen des Reisens geboren werden kann und deren Existenzvoraussetzung ihre absehbare Endlichkeit ist.

Deshalb bin ich auch nicht traurig, dass diese Familiengeschichte bald zu Ende erzählt sein wird. Man soll ja ohnehin aufhören, wenn es am schönsten ist, und mit ein bisschen Glück treffe ich auch demnächst wieder Leute mit denen man mehr als nur den Tisch in der Bar teilen kann.

Fear and Loathing at the QuestFest

Drei Tage nach meiner Ankunft in Hanoi finde ich mich erneut an einem Ort wieder, den ich nicht auf dem Zettel hatte. Das Quest Festival vor den Toren der Hauptstadt ist ein Ort jenseits von Raum und Zeit. Ich bin zusammen mit dem D. und der C. hier, die ich bei meiner Flucht vor dem Unwetter in Zentralvietnam kennengelernt habe.

Das QuestFest ist das größte Musikfestival Südostasiens – trotzdem ist es weder groß, noch steht hier die Musik im Vordergrund. Mit gerade mal 6000 Leuten ist es für westliche Verhältnisse eher eine Familienveranstaltung und niemand, den ich getroffen habe, kennt auch nur einen der Musiker, die dort auftreten. Aber darum geht es auch gar nicht.

Das Hippie-Künstler-Festival findet auf einer Art Halbinsel in einer abgelegenen Seenlandschaft statt und vereint vom Konzept her legendäre Veranstaltungen wie das „Burning Man“ und die „Fusion“. Dementsprechend ist auch das Publikum drauf. Hier finden sich fast ausnahmslos Backpacker und Langzeitreisende, also Leute, die ohnehin schon ziellos durch die Weltgeschichte irren, vielleicht vor irgendwas davonlaufen, jedenfalls aber das „Leben im Hier und Jetzt“ zur Maxime erhoben haben. Nur selten treffen wir Leute, wie die drei Püppchen aus Hamburg, die auf ihrem Mädelsurlaub hier einen Stop einlegen, bevor sie nächste Woche wieder in ihren Marketingabteilungen sitzen und sich die Nägel lackieren. Sie wirken in dieser Umgebung wie Aliens, die versehentlich auf dem falschen Planeten gelandet sind. Die restlichen Anwesenden sind aufrichtig auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen und haben dafür auch das nötige Equipment im Handgepäck. Hier gibt es alles: MDMA, Speed, Extasy, Mescalin, Acid, Pep, Poppers, Pilze, Uppers und Downers. Pillen, Pülverchen, Plättchen, Pipetten, Nasensprays, Pflaster, Zäpfchen und ein paar Dinge deren genaue Anwendung bis zuletzt schleierhaft bleibt. Obwohl ich in Berlin wohne, habe ich das meiste von dem Zeug noch nie gesehen und auch nicht wenige der Anwesenden machen hier ganz neue Entdeckungen.

Ich nehme keine Drogen und fühle mich daher zeitweise selbst wie ein Tourist in einer fremden Welt. Ausnahmslos alle, mit denen ich hier bin, steigen fröhlich mit ein – ich lehne dankend ab. Es ist nicht so, dass hier irgendjemand irgendeine Art von Druck ausüben würde, gleichwohl überkommt mich zeitweise das Gefühl, dass ich nicht ganz teilnehme an dem, was hier vor sich geht.

Ein Stück weit kann ich das sogar nachvollziehen: Ich kenne die Situation, wenn man mit einer Gruppe in einer Bar sitzt und diese besondere Stimmung in der Luft liegt, die dir ins Ohr flüstert, dass es eine dieser Nächte werden könnte, die legendär aus dem Ruder laufen. Wenn dann jemand am Tisch sitzt und sagt, er trinke generell keinen Alkohol, dann schaut man selbst manchmal ein bisschen misstrauisch. Was stimmt mit dieser Person nicht? Man hat diese Person dann ungewollt im Verdacht, ein Kontrollfreak zu sein, jemand der sich nicht fallenlassen kann. Mit dieser Person wird man vermutlich nicht in ein verlassenes Fabrikgebäude einbrechen, vom Dach den Sonnenaufgang beobachten und stundenlang philosophieren. Man wird mit ihr auch kein morgendliches Bad in der Spree nehmen und auch keine Pferde stehlen. Kurzum: Man wird nicht das gleiche Ding durchziehen und nicht das Gleiche erleben. So eine Einstellung wirft natürlich allerhand ernsthafte Fragen über den Zustand unserer Gesellschaft und ihren Umgang mit Alkohol auf, aber darum soll es hier nicht gehen. Ich ahne jedenfalls, dass meine sieben Zeltgenossen etwas ähnliches über mich denken könnten, auch wenn sie das niemals zugeben würden.

Ich bestreite also das Wochenende mit Bier und Drinks und hier und da mal einer Haschzigarette oder einem Lachgas-Ballon, den man – wie häufig in Südostasien – an der Bar bestellen kann.

Die Abstinenz von harten Drogen hat indes einige Vorteile, zum Beispiel, dass ich nicht stundenlang mit einem Löffel in der Hand durch die Gegend laufe und versuche, mit selbigem Energie auf andere Leute zu übertragen. Na ja, vielleicht ist das auch ein Nachteil, je nach nachdem wie viel Energie der Löffel wirklich überträgt. Unglücklich sehen sie jedenfalls nicht aus, all die Menschen, die hier neue Bewusstseinsebenen erkunden, von denen ich mir höchstens erzählen lassen kann. Dafür muss ich allerdings – im Gegensatz zu allen Anderen – ab und zu schlafen und essen, was wohl der Preis ist, wenn man seinen Prinzipien treu bleibt.

Auch ohne Drogen lässt sich die Stimmung an diesem Ort jedoch wunderbar aufsaugen. Es ist ein bisschen wie Urlaub vom Urlaub. Man streift über das Gelände, geht zur Impro-Comedy, schwimmt eine Runde im See oder döst ein paar Stunden in einer der zahlreichen Hängematten. Ich treffe die K. wieder, mit der ich ein wenig Zeit verbringe und endlich mal wieder deutsch reden kann. Alles ist untermalt von den Bässen, die 72 Stunden lang nonstop an den Fäden der Marionetten mit den kleinen Pupillen ziehen.

Was für ein magisches kleines Wunderland, denke ich. Hier draußen in der Natur, auf dieser Halbinsel, eingebettet in die Seen, auf denen der Nebel liegt, wie in einer märchenhaften Erzählung von Feen und Elfen. Und tatsächlich ist es im Grunde nichts anderes als ein Märchen – zauberhaft und nicht real. Nach den drei Tagen, wenn alle ihre Feenkostüme abgelegt haben, wird die Stille der Natur die Insel wieder zurückerobert haben und nichts wird mehr darauf hinweisen, dass hier drei Tage lang ein magischer Ausnahmezustand geherrscht hat.