Balifornication

Mit dem Schnellboot geht es weiter westwärts nach Nusa Lembongan. Ich brauche eine Nacht in einem Privatbungalow, um mich von den Strapazen des Rinjani-Treks zu erholen, bevor ich mich Tags drauf wieder mit der K. treffe, die hier Tauchen lernen will. Lembongan ist als ausgezeichnetes Tauchrevier bekannt und auch ich tauche hier wieder ab und lasse mich zum „Advanced Adventurer Diver“ ausbilden, was immer das auch genau bedeuten mag.

Auf der Insel stelle ich fest, dass ich bislang wohl Glück hatte mit dem Wetter in Indonesien, denn eigentlich ist hier Regenzeit und das ist dem Wetter wohl auch gerade wieder eingefallen. Zum Glück ist das unter Wasser eher nebensächlich, aber wenn das Tauchboot zu den Dive-Sites rausfährt, muss man sich schon recht gut festhalten.

Nachdem wir alle Unterwassersehenswürdigkeiten abgeklappert haben, verbringen wir noch zwei Tage auf der Nachbarinsel Nusa Penida, die auch überirdisch einiges zu bieten hat. Was die Natur hergibt, besichtigen wir mit zwei Reiseabschnittsgenossinen allerdings gleich in Badeshorts bzw. Bikini; Nichts, gar Nichts würde hier auch nur eine Sekunde trocken bleiben. Der Tag halbnackt im 30 Grad warmen Dauersturzregen ist ein absurder Spaß – ja, man kann uns wirklich nicht vorwerfen, dass wir nicht das Beste aus der Situation machen. Die Sonne vermisse ich trotzdem langsam und dass die meisten meiner Klamotten mittlerweile nass sind und bei 120 Prozent Luftfeuchtigkeit auch niemals mehr trocknen werden (also sehr bald anfangen werden zu stinken), macht es auch nicht besser.

Um tags drauf mit dem Speedboat nach Bali zu kommen, müssen wir um halb sechs aufstehen, denn das ist offenbar die einzige Tageszeit, zu der das Meer die Überfahrt noch gestattet, bevor gegen Mittag Wind und Wellen die See wieder für sich allein beanspruchen.

Ich habe nur noch Zeit für eine Stadt auf Bali und so fällt die Wahl auf das Surfer-Paradies Canggu. Wir steigen im LayDay-Surfhostel ab, was für seine entspannte Atmosphäre und seine ab 9 Uhr morgens geöffnete Bar bekannt ist. Leider ist die Herberge ein bisschen weit ab vom Schuss, weshalb man jeden Weg mit dem Roller zurücklegen muss, was ziemlich ungünstig ist, wenn alle schon mittags anfangen zu saufen. Egal, wir können mit dem ersten Bier warten, bis alle Besorgungen in der Stadt erledigt sind. Nur abends wird die Lage zum Problem. Weil auch dieses Hostel Nachbarn hat, die gelegentlich mal schlafen müssen, geht um elf Uhr die Musik aus und alle fahren in die Stadt. Nun kann man in Canggu leider auch nicht einfach ein Uber oder ein Taxi bestellen, denn die lokale Mafia hat dafür gesorgt, das kein Taxifahrer, dem was an seiner Gesundheit oder seinem Gefährt liegt, hier noch irgendjemanden befördern würde. Gleichzeitig haben sie jedoch keine funktionierende Parallelinfrastruktur geschaffen. Canggus Straßen sind also jede Nacht vollgestopft mit Westerners, die in den abenteuerlichsten Zuständen in die Bars und Clubs fahren und gegen Morgen wieder zurück. Polizei gibt es hier nicht. Es ist natürlich unnötig zu erwähnen, dass die Leute sich hier in schöner Regelmäßigkeit umbringen, jedenfalls aber schwer verletzen. In Indonesien sterben schon mal 60 Rollerfahrer an einem einzigen Tag. Das scheint uns nicht übermäßig verlockend zu sein, was jedoch auf völliges Unverständnis stößt. Erzählt man, dass man betrunken lieber nicht fahren mag, reagieren die Leute, als würde man offenbaren, dass man aus Prinzip kein Smartphone benutze. Besoffen zu fahren ist hier so selbstverständlich wie eben besoffen zu sein. Wir finden trotzdem Wege, um von A nach B zu kommen, ohne selbst zu fahren. Nicht immer komfortabel, selten preisgünstig und oft unzuverlässig. Nachts warten die vierzehnjährigen Kids mit ihren Rollern vor den Bars und Clubs, um ihr Taschengeld aufzubessern. Es erscheint mir allemal sicherer, als bei meinen Hostelgenossen hinten aufzusteigen – sofern die überhaupt noch in der Lage sind, sich selbst auf den Roller zu schwingen. Nicht wenige fallen sofort mitsamt ihres Gefährts wieder um.

Natürlich lerne auch ich in Canggu Surfen. Wenn nicht hier, wo dann? In Australien will ich es schließlich schon können und hier sind Surfstunden noch bezahlbar. Es klappt überraschend gut. Zum Glück, denn ich habe nicht mehr ewig Zeit.

Seit ich in Indonesien bin, habe ich es immer bedauert, nicht mehr Zeit zu haben. Zwischenzeitlich habe ich sogar auf den (immer noch erwarteten) Ausbruch des Mount Agung gehofft. Ein gecancelter Flug ist hier ein gutes Argument für eine Visumsverlängerung.

Aber gerade jetzt, kurz vor meiner Abreise, fühlt es sich gar nicht mehr so verkehrt an, dass ich bald die Kurve kratze. Der Dauerregen schlägt auf die Stimmung und auch die K. und ich gehen uns jetzt manchmal auf die Nerven. Es ist eigentlich genau der richtige Zeitpunkt, um zu einem neuen sonnigen Kontinent, einer neuen Etappe aufzubrechen.

Den ersten Weihnachtstag verbringe ich noch im Hostel, wo Weihnachten im Grunde bedeutet, dass man einfach noch mehr trinkt als sonst. Mein Flug nach Melbourne geht um 23.00 Uhr und da ich später das Gate noch finden muss, kann ich leider nicht voll in die Feierlichkeiten miteinsteigen. Ein, zwei letzte Bintang-Biere, dann kommt mein Taxi. Der Fahrer überlässt mir die Musikauswahl und das Album „In Colour“ von Jamie xx wird der Soundtrack dieser letzten Autofahrt in Asien. Die Musik passt zu meiner Stimmung, die irgendwo zwischen melancholisch und freudiger Erwartung liegt. Draußen regnet es mal wieder und drinnen blase ich nachdenklich den Rauch der gefühlt hundertsten Zigarette an diesem Tag gegen die Windschutzscheibe. Die roten Rücklichter des chaotischen indonesischen Verkehrs spiegeln sich im Dunkeln auf der regennassen Fahrbahn und für die zehn Kilometer zum Flughafen brauchen wir über eine Stunde. Farewell Asia.

Die nagelneue Boing 787 riecht innen wie ein neues Auto und das Mädel am gegenüberliegenden Fenster schenkt mir ein Lächeln – einfach so. Ich schließe den Anschnallgurt. *klick*. Als das Flugzeug abhebt, läuft der tropische Regen in dicken Schlieren die großen Panoramafenster des Dreamliners entlang. Ich habe die Sitzreihe für mich allein, mache es mir gemütlich, und schlafe sofort ein.

Kopf gegen Körper

Auf Gili Air ist nicht viel los. Zwar ist das Captain Coconuts Hostel ein großartiger Ort, aber was nützt das schon, wenn man der einzige Gast ist.

Es durstet mich nach Action und Abenteuer und so entscheide ich mich für eine Trekking-Tour auf den Mount Rinjani. Indonesiens zweitgrößter Vulkan bestimmt das Landschaftsbild Lomboks und soll sich hervorragend zum Trekken eignen. Ausnahmslos Alle, die ich getroffen habe, haben geschwärmt von der Landschaft und dem Ausblick. Allerdings haben auch Alle gesagt, dass es ein verdammt harter Trek ist.

Na ja, denke ich noch, es ist ja nicht mein erster Trek und so wild kann es schon nicht sein. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte.

Die Suche nach einem passenden Veranstalter ist schwerer als gedacht. Es gibt hunderte Trekking-Agenturen, von hochgradig unseriös bis Premium und nicht alle starten Touren jeden Tag. Eine Tour mit unqualifizierten und unterbezahlten Guides gibt es schon für 100 USD. Wer einen lizensierten Guide haben möchte und zudem sicher sein will, dass das Equipment halbwegs hochwertig ist, muss tiefer in die Tasche greifen. Die Recherchen ergeben, dass man für alle halbwegs vertrauenswürdigen Agenturen mindestens das Doppelte bezahlen muss. Dafür kann man sich dann aber auf gute Verpflegung verlassen und darauf hoffen, dass Guides und Träger anständig bezahlt werden. Ich finde eine Agentur, die garantiert, keinen Müll auf dem Berg zurückzulassen und sogar noch einen 5%-Discount verspricht, wenn man auf dem Rückweg selbst noch einen Beutel Müll einsammelt.

Das ist es mir Wert, und so bricht unsere Dreiergruppe am nächsten Tag zur Gipfelbesteigung auf. Zufällig ist auch der F. dabei, mit dem ich in Komodo den Tauchkurs absolviert habe. Die Welt ist klein. Der 24-jährige Portugiese ist frischgebackener Arzt, ich hoffe jedoch inständig, dass er seine Fähigkeiten hier nicht unter Beweis stellen muss.

Am ersten Tag geht es rauf zum Kraterrand. Schon jetzt ist klar, dass das kein Kinderspiel wird. Es ist sauanstrengend, aber der Guide und die Träger sind nett, das Essen ist (für die Bedingungen) hervorragend und der Wille ist stark. Wenn man den Trägern außerdem dabei zusieht, wie sie in Flipflops Lebensmittel, Kochequipment, Zelte, Isomatten und Trinkwasser den Berg raufschleppen, kommt Beschweren sowieso nicht in Frage.

Als wir am Kraterrand ankommen, bin ich einigermaßen zerstört, aber noch funktionsfähig. Kaum vorstellbar, dass der Vulkan mal über 5000 Meter hoch war, bevor ein Ausbruch irgendwann im 11. Jahrundert einfach die komplette obere Berghälfte weggepustet hat. Die Aschewolke reichte 45 Kilometer in den Himmel und hat die Sonne so sehr verdunkelt, dass in Europa ein ganzes Jahr lang Winter war. Heute liegt im Krater ein See, aus dem ein kleinerer neuer Vulkan hervorragt, der seit dem Ausbruch im letzten Jahr gemütlich vor sich hinqualmt.

Am nächsten Tag klingelt der Wecker um zwei Uhr nachts. Ein Toast mit Marmelade und ein Kaffee ist alles, was uns Energie für den Aufstieg zum Gipfel liefern wird, den wir zum Sonnenaufgang erreichen wollen.

Es gilt einen weiteren Höhenkilometer zu überwinden und jetzt wird sich zeigen, wer Spreu und wer Weizen ist.

Ein Vulkan ist kein gewöhnlicher Berg, es ist vielmehr ein Haufen aus Schutt, Geröll und sandartiger Asche. Zum Gipfel führt ein schmaler Grat, der im Schein unserer Taschenlampen schimmert. Ich muss kämpfe: Für zwei Schritte nach vorn rutscht man einen zurück. Ich schwitze, obwohl es fünf Grad sind und ich nur ein T-Shirt und eine Softshelljacke anhabe. Sobald man stehenbleibt, sorgt der eisige Wind im Zusammenspiel mit dem kalten Schweiß dafür, dass man fast erfriert. Mir wird klar, dass ich dieses Unterfangen hoffnungslos unterschätzt habe. Die Muskeln brennen noch vom Vortag. Pure Verzweifelung beim Blick nach oben: Es ist zu weit, zu hoch. Dass auch der erfahrene Trekker im Team und sogar der Guide Blut und Wasser schwitzen, tröstet mich kein Bisschen. Ich rutsche aus und falle auf die Knie. Immer wieder die Frage: „Warum“? Ich sage mir nicht mehr, dass das aber „sauanstrengend“ ist, sondern wünsche nur noch, aus diesem Albtraum aufzuwachen. Meine körperliche Grenze ist in unmittelbarerer Sichtweite, nicht bloß zu erahnen, nein, hier laufen alle Maschinen auf Maximalauslastung im roten Bereich.

Ich hatte ja keine verdammte Ahnung.

„Auf deine mentale Stärke wird es ankommen, wenn es auf den Gipfel geht“, hat Jul, der Inhaber der Trekking-Agentur mir mit auf den Weg gegeben. Und jetzt bin ich mittendrin, im Kampf „Kopf gegen Körper“. Jul‘s Worte würden das Aufgeben gleichzeitig auch zu einer Niederlage des Geistes machen. Sich einzugestehen, dass man körperlich nicht in der Lage ist, ist einfach – sich einzugestehen, dass man mental nicht in der Lage ist, keineswegs.

Ich gucke nicht mehr nach oben, denke nicht mehr drüber nach, dass dieser Kampf noch mindestens eine Stunde dauern wird. Das Ziel ist ab jetzt immer nur noch der nächste Schritt.

„Einen Fuß vor den anderen; Kleine Schritte; Konstante Geschwindigkeit; Auf keinen Fall nach oben gucken.“

Diese Sätze sind das Mantra, dass ich in Endlosschleife vor mich hinmurmle.

Als ich auf dem Gipfel ankomme, kann ich es kaum glauben. So fühlt es sich also an, wenn man einen Berg bezwungen hat! Richtigerweise muss man natürlich sagen, wenn man sich selbst bezwungen hat.

Es ist schier nicht zu fassen, dass ich die 3200 Höhenmeter mit meinen eigenen Beinen erklommen habe. Endorphine fluten das Gehirn und nehmen sämtliche Synapsen unter Beschuss. Man liegt sich in den Armen und klatscht sich selbst auf die Schulter – pausenlos. Man fühlt sich unbesiegbar. Kratzer, Blasen an den Füßen, eisige Kälte, Muskelkater, Hunger, Durst, Schmerz, Verzweifelung – alles weg. Der körpereigene Hormon-Cocktail und die aufgehende Sonne vernebeln einem alle Sinne.

Bevor man endgültig erfriert, muss man sich jedoch wieder mit der Realität befassen. Der Abstieg zurück zum Kraterrand wird weitere eineinhalb Stunden dauern und sehr rutschig werden.

Zurück am Zelt wird es ca. 8 Uhr sein und der Trekking-Tag fängt dann erst richtig an. Nach dem Frühstück folgt der Abstieg in den Krater, Mittagessen am See, dann den Kraterrand wieder raufklettern, um auf der anderen Seite zu zelten.

Muskel- und Gliederschmerzen werden nicht besser. An diesem Tag sind wir 14 Stunden auf den Beinen. Das Bad in den heißen Vulkanquellen kann nur wenig Abhilfe schaffen. Beim Abstieg an Tag drei, spürt man die Blasen an den Füßen schon gar nicht mehr. Man ist darauf trainiert, die Warnsignale seines Körpers zu ignorieren. Auf den steilen Pfaden rutscht man aus, fällt hin, steht wieder auf, auch wenn die Knie weich sind und die Beine zittern.

Nein, es macht keinen Spaß, wirklich nicht.

Aber um Spaß geht es beim Trekking anscheinend auch nicht. Es geht auch nicht darum, irgendwo anzukommen und vielleicht geht es noch nichtmal um die Natur. Es scheint in erster Linie um den Kampf mit oder vielmehr gegen sich selbst zu gehen. Es geht um Beharrlichkeit, ums Durchhalten; darum, sich und seine Gedanken zu fokussieren, sich nicht ablenken zu lassen, nicht ans Aufgeben zu denken, seine Schwäche zu überwinden. Und manchmal geht es auch darum, zu erkennen, dass man das Unmögliche möglich machen kann – mit reiner Willenskraft.

Das Erfolgsgefühl ist nachhaltig, auch wenn – das muss nochmal betont werden – es wirklich keinen Spaß gemacht hat. Ich bereue es keinesfalls das Abenteuer gewagt zu haben; Lust auf eine baldige Wiederholung verspüre dennoch nicht.

Aber wer weiß, wie es ist, wenn der Erfolgsrausch in einigen Wochen abklingt. Vielleicht werde ich dann wieder ein Kribbeln in den Beinen spüren und die neuseeländischen Berge rufen hören.

Man soll ja niemals „nie“ sagen.

The wooden boat

Mit der Tauchlizenz in der Tasche reise ich weiter Richtung Westen. Irgendwann muss ich auf Bali ankommen, um meinen Flug nach Australien zu erwischen. Die 500 Kilometer von Flores nach Lombok lege ich in einem Holzboot zurück, denn vom Hörensagen habe ich erfahren, dass das nicht nur eine hervorragende Art zu reisen sei, sondern auch, um die die auf dem Weg liegenden Inseln zu erkunden.

Das Boot fasst 25 Passagiere aber ich muss mir den Platz nur mit einem kanadischen Pärchen teilen. Das habe ich nicht nur der Nebensaison zu verdanken, sondern auch der Tatsache, dass der seicht vor sich hinqualmende Mount Agung auf Bali anscheinend zahlreiche Urlauber der nördlichen Hemisphäre dazu veranlasst hat, ihren Indonesien-Urlaub gleich ganz abzusagen. Für die meisten scheint das Land, dessen Ausmaße man nur als gewaltig beschreiben kann, sich nur auf die Ferieninsel zu erstrecken. Eine Katastrophe für die Tourismusbranche hier, ein Glück für mich.

Wir drei haben jede Menge Platz auf dem doch recht großen Schiff und die sechsköpfige Crew hat verhältnismäßig wenig zu tun. Für sie ist die Fahrt auch eine Art Urlaub. Wir erkunden die Inseln des Komodo-Nationalparks, machen Fotos mit den bis zu drei metergroßen Komodowaranen und schnorcheln mit Schildkröten und Mantarochen.

Wir haben alle drei die „Deckklasse“ gebucht, das heißt, unsere Unterbringung besteht aus einer Isomatte, die wir nach Belieben auf dem Schiff platzieren können. Man rollt zwar bei jeder Welle runter, aber den Sternenhimmel beim einschlafen zu sehen, ist einfach unbezahlbar. Wir stehen ohnehin jeden Tag früh auf, sei es um den Sonnenaufgang vom höchsten Berg der Insel Padar zu genießen oder um eine morgendliche Wanderung zum Wasserfall auf Palau Moyo zu unternehmen.

Ich frage mich zwischendurch mal, wie die Crew das Schiff überhaupt navigiert, so ganz ohne irgendein Instrument. Wenn ich Segeln gehe, gibt es auf den Yachten Radar, Kartenplotter mit AIS, Funk und allerlei technischen Schnickschnack, der auf dem „wooden boat“ offenbar überflüssig ist. Nun ja, die Crew wird schon wissen, was sie tut. Jedenfalls wussten sie es auch, als die Ruderkette gerissen ist – einfach eine Leine dazwischen geknotet und weiter gings. Ob sie es auch wussten, als sich nachts der Anker gelöst hat oder sie mich eine halbe Stunde lang haben fahren lassen, sei mal dahingestellt.

Die Frage nach der Navigation quittiert der Kapitän jedenfalls mit einem Lachen. Meistens würde man ja die Küste sehen und nachts könne man einfach auf die anderen Boote achten. Das habe ich bei meinem Bootsführerschein zwar geringfügig anders gelernt, aber ich bin hier ja auch nicht verantwortlich. Zum Glück bin ich auch nicht fürs Kochen verantwortlich, sondern die Crew; und so gibt es jeden Tag das, was gerade angebissen hat oder beim Schnorcheln eingesammelt wurde.

Kurz vor Lombok legen wir noch einen ungeplanten Zwischenstopp auf der kleinen Insel Medang ein. Auf dem Heimateiland des Kapitäns lernen wir seine drei Frauen kennen und sind bei ihm zu Hause zum Essen eingeladen. Außerdem sammeln wir noch ein paar Inselbewohner ein, die auch nach Lombok wollen. Als die zwölfjährigen Nachbarskinder uns auf ihren Motorrädern die Insel zeigen, wird uns klar, dass vermutlich noch nie ein Tourist einen Fuß auf dieses Land gesetzt hat, denn wir sind eine Attraktion – und gern gesehene Gäste in jeder Hütte.

Nachdem wir wieder abgelegt haben und die Nacht hereinbricht, können wir Sternschnuppen zählen während am Horizont schon die ersten Lichter Lomboks zu erahnen sind.

Unter Wasser

In Indonesien starte ich auf der Insel Flores, wo ich auf dem kleinsten Flughafen aller Zeiten in Labuan Bajo ankomme. In der kleinen Hafenstadt selbst ist nicht viel los. Die Kulisse hat sich im Vergleich zu Singapur wieder radikal verändert. Die Menschen wohnen in Hütten und die Straßen sind staubig. Fünf mal am Tag ruft der Muezzin zum Gebet, weil in Labuan Bajo – im Gegensatz zum Rest der Insel – verhältnismäßig viele Moslems leben. Es erinnert ein wenig an Kambodscha, scheint aber gleichzeitig nicht halb so arm zu sein. Das Highlight ist der Fischmarkt am Hafen, wo die Fische ohne Eis auf den Tischen liegen. Man sucht sich den Fisch einfach nach Farbenpracht und Schönheit durch zeigen aus und kann sich sogleich selbst – mittels eines Blickes in die Kiemen – davon überzeugen, dass er seinen letzten Atemzug vor weniger als einer Stunde getan hat.

Fische sind auch der Grund, warum es mich hierher verschlagen hat. Allerdings nicht die auf dem Teller, sondern die lebenden unter Wasser. West-Flores grenzt an den knapp 2000 Quadratkilometer großen Komodo-Nationalpark, der zu einem guten Drittel aus Inseln besteht, die die Heimat der legendären Riesenkomodowarane sind und zu zwei Dritteln aus Wasser. Hier – so heißt es – sei eines der besten Tauchreviere der Welt; und ich will tauchen lernen.

Meine Basis für dieses Unterfangen wird das „Komodo Dragon Dive Hostel“. Eine bunte Oase zwischen den eher slumartig wirkenden Hütten, erdacht und vor fünf Monaten erbaut und eröffnet von Manu, einem französischen Visionär, der hier mit Ende Zwanzig seinen Traum lebt. Er war selbst die meiste Zeit seines Lebens ein Reisender und hat einen Ort für Reisende geschaffen, der kaum Wünsche offen lässt. Nur die Nachbarn waren anfangs nicht begeistert, hatten sie doch von ihren Fenstern nun besten Blick auf leichtbekleidete Mädels am Pool. Na ja, vielleicht waren es auch eher die Ehefrauen der Nachbarn, die ihre Männer, die nun häufiger mit dem Handy filmend am Fenster zu sehen waren, auch mal wieder von vorn sehen wollten. Eine große bunte Sichtschutzwand konnte den Frieden schließlich wieder herstellen.

Hier im Hostel hängen die Tauchlehrer abends zusammen mit den Travellern und Tauchschülern beim Bier ab, während alle durch das gemeinsame Interesse zusammengeschweißt sind. Bierpong-Turniere und Erfahrungsaustausch gehen hier Hand in Hand.

Tauchen ist ein bisschen wie Segeln: Macht man es das erste Mal, dann scheint es furchtbar kompliziert; und so heißt es auch erstmal Theoriewissen büffeln und sich mit dem umfangreichen Equipment vertraut machen, bevor es rausgeht. Was ich dann am nächsten Tag erfahre, als ich die Luft aus meiner „BC-Weste“ ablasse und abtauche, lässt sich nur schwer beschreiben. Die ersten Atemzüge unter Wasser sind wie ein kleines Wunder. Die Natur ist ausgetrickst, das Unmögliche ist möglich geworden. In etwa so, wie wenn man das erste Mal in einem Flugzeug sitzt. Unterwasser ist es allerdings deutlich interessanter als in der Luft, denn hier ist tatsächlich eine weitere Welt, von der ich vorher bestenfalls eine grobe Ahnung hatte, deren tatsächliche Existenz mich dann aber doch in großes Erstaunen versetzt. Endlose bunte Korallenriffe und die gesamte Besetzung aus „Findet Nemo“ in tausendfacher Ausführung. Vielleicht bin ich auch deshalb so verblüfft, weil ich irgendwie angenommen habe, dass der Mensch all diese Wunder längst zerstört habe und bunte Fische nur noch in Aquarien und Animationsfilmen existieren. Aber hier ist alles echt, alles ist wirklich da, vor meiner Nase.

Man muss sich anfangs wirklich konzentrieren, dass man vor lauter Staunen nicht vergisst, sich noch um die zahllosen Dinge zu kümmern, die den Aufenthalt hier überhaupt möglich machen. Man kann zwar in knapp zwanzig Meter Tiefe atmen, als wäre man an der Oberfläche, aber man ist nicht an der Oberfläche sondern dort, wo kein Mensch für gewöhnlich lebensfähig ist. Alles muss man ständig im Blick haben: Atmung, Auftrieb, Atemluft, den Dive-Buddy, den Tauchlehrer, die Korallen, die Strömung und so weiter. Auch das ist wie beim Segeln: Wirklich gefährlich ist es nicht, solange man alles im Blick hat und keine Fehler macht, bzw. wenn man welche macht, nicht in Panik ausbricht. Aber wenn man das erste unwohlige Gefühl erstmal überwunden hat, dann fällt es leicht, nicht in Panik auszubrechen, denn alles ist unfassbar friedlich hier unten. Alle Meeresbewohner gehen gelassen ihren Geschäften nach, während man zum Blubbern der eigenen Atmung schwerelos als Gast dabei zusehen darf. Niemand lässt sich hier von uns stören. Ich hatte zunächst befürchtet, das vielleicht einige potentiell gefährliche Tierchen es wenig lustig finden, wenn man in ihren Lebensraum eindringt. Aber Scorpion-, Stein-, Löwen- und Rotfeuerfische denken gar nicht daran, streit mit uns anzufangen. Stachelrochen und Muränen liegen friedlich am Boden und warten auf ihre Beute, zu der wir offensichtlich nicht gehören und als wir die ersten – immerhin eineinhalbmeter großen – Riffhaie sichten, suchen diese lieber schnell das Weite, anstatt uns ein Bein abzubeißen. Nur die riesigen Manta-Rochen mit ihrer Spannweite von vier Metern sind neugierig und schauen interessiert unseren ersten Gehversuchen hier unten zu. Obwohl noch bis vor kurzem unter Seeleuten zahlreiche Horrorgeschichten über die anmutigen Tiere kursierten, sind sie völlig harmlose Planktonfresser, die mit Sicherheit noch niemals ein Schiff samt Besatzung in die Tiefe gerissen haben. Direkt neben so einem riesigen Tier im Wasser zu schweben, gehört auf alle Fälle zu den eindrucksvollsten Erfahrungen, die ich bislang auf meiner Reise gemacht habe. Einige der erfahreneren Taucher haben mir jedoch gleich mit auf den Weg gegeben: Gewöhn dich nicht dran, es ist nicht überall so schön.

Beinahe möchte man annehmen, dass die Welt hier unten noch in Ordnung sei, aber das ist sie natürlich nicht. Fast alle dieser Tiere sind in irgendeiner Form durch den Menschen bedroht, sei es weil sie köstlich sind oder wichtiger Bestandteil von traditioneller chinesischer Medizin. Noch offensichtlicher ist aber auch hier in Indonesien die Vermüllung der Ozeane. An der Oberfläche ist es haarsträubend aber auch unter der Oberfläche sieht man dann und wann Plastikmüll. Ich bin kein Ökofreak, aber um zu erkennen, dass das alles katastrophale Auswirkungen hat und haben wird, braucht es nur ein bisschen gesunden Menschenverstand. Vom Offensichtlichen mal abgesehen, muss man sich auch klar machen, dass die ganzen Fische, die das Plastik essen, früher oder später auch auf unseren Tellern landen – und sei es, weil ein kleiner Fisch im Bauch eines Thunfischs landet, der dann schon morgen auf einer Berliner Pizza liegt. Ich nehme mir vor, irgendeine Organisation zu unterstützen, die sich den Schutz der Ozeane auf die Flagge geschrieben hat. Man kann nicht aufhören, sich zu fragen, warum zum Teufel das hier niemanden ernsthaft zu interessieren scheint. Mein Bewusstsein für die Müllproblematkik ist durchs Tauchen zwar in diesem Moment besonders geschärft, was jedoch nicht heißen soll, dass es in den übrigen Ländern Südostasiens auch nur ein bisschen besser wäre – im Gegenteil. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, diese großartigen Lebensräume zu retten.

Nach drei Tagen halte ich dann endlich meine „Open Water Diver“-Lizenz in den Händen. Der Grundstein für ein weiteres exorbitant teures Hobby wäre damit also gelegt und ich kann nur jeden warnen: Es macht sehr, sehr schnell süchtig.