„What if just can’t find my way back home?“

„What if just can’t find my way back home?; What about all the things I just don’t know?“ Berechtigte Fragen, die die Bag Riders da gerade durch meine Kopfhörer singen, als ich an der Sicherheitskontrolle warte. Und drängende Fragen, denn ich trete meinen letzten Weg auf dieser Reise an – den Weg nach Hause.

Am Gate starre ich auf mein Smartphone: „Vatikan korrigiert: Die Hölle gibt es doch“ titelt die Online-Ausgabe der FAZ. „Passengers for flight MT2648, please get ready for boarding“, titelt die Stimme aus dem Lautsprecher. Ich weiß gar nicht, welche der beiden zuletzt aufgenommenen Informationen mich mehr schockiert. Mein Gefühlszustand variiert jetzt nicht mehr täglich sondern minütlich zwischen „Ich bin bereit“ und „Nein, es darf noch nicht zu Ende sein“. Ich kralle mich an der Plastik-Sitzschale in der Wartehalle fest und denke verzweifelt, „RENN!; Es ist noch nicht zu spät, Belize ist nicht weit weg.“ „Doch, Belize ist sehr weit weg, Amigo“, flüstert eine leise Stimme aus meinem Kreditkartenfach.

Es ist Zeit, den Widerstand aufzugeben. Ich heule ja nicht in der Öffentlichkeit. Warum eigentlich nicht? Das muss so ein Geschlechterrollending sein. Frauen tun das doch auch und längst ist es wissenschaftlich bewiesen, dass das ein absolut probates Mittel zum Stressabbau ist – und ich habe Stress: Das Leben, wie ich es kannte, endet. Mal wieder. Ich wurde vor diesem Moment gewarnt und jetzt weiß ich, was die Leute meinten. Es fühlt sich seltsam an. Die Schlange, an der Bordkartenkontrolle hat sich aufgelöst und ich trotte zur Gangway, getragen von einer sich spontan eingestellten Gleichgültigkeit.

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„Cabin Crew, arm doors and crosscheck“, krächzt der Captain durch die Lautsprecher. Ich schließe den Anschnallgurt – *klick*. Irgendwann, so in 20 Stunden, da werde ich sagen können, ich habe die ganze Welt umrundet. „Und wofür?“ wird der Zyniker fragen, „Nur um exakt wieder an dem Punkt anzukommen, an dem Du gestartet bist?“

„Was für törichter Irrtum“, könnte ich entgegnen: „Diesen Punkt gibt es doch längst nicht mehr. Längst ist die Welt doch eine ganz andere als vor über acht Monaten. Die Große und meine Kleine.“

Man kann überhaupt gar nicht zurückfliegen, man kann immer nur weiterfliegen.

„Nichts ist absolut. Alles verändert sich, alles bewegt sich, alles dreht sich, alles fliegt und verschwindet.“

Frida Kahlo

Up in the Air

Ich mag Flughäfen. Sie sind magische Orte: Man geht durch den Haupteingang rein, und wenn man das nächste mal eine Straße betritt, ist man an einem komplett anderen Ort. Fliegen ist ein verdammtes Wunder, wie ja schon Louis CK zutreffend festgestellt hat, auch wenn man den natürlich im Grunde nicht mehr zitieren darf, seit seine Vorliebe, vor Mitarbeiterinnen zu masturbieren, bekannt geworden ist. Ob dies zwangsläufig zur vollständigen Auslöschung seiner (jetzt entarteten?) Kunst führen muss, weiß ich nicht, aber das ist ja auch ein ganz anderes Thema.

Weil ich Fliegen liebe, liebe ich auch das Vorspiel, den Aufenthalt am Flughafen. Jetzt mag manch ein berufsbedingter Flugzeugpendler vielleicht die Augen verdrehen, aber dennoch bleibt es dabei: Es ist ein verdammtes Wunder und jeder, der regelmäßig im Flughafen die Fassung über eine halbe Stunde Verspätung verliert, sollte sich mal sein Leben vor Augen führen, wenn er zweimal pro Woche mit dem Auto von Berlin nach Köln fahren müsste – oder nach New York.

Es fängt schon mit der letzten Zigarette vor dem Terminal an. Fünf Minuten innehalten, ein letzter Blick auf die Stadt, die man (vielleicht für immer) hinter sich lässt und geht beim Blick auf die Abflugtafel weiter. Es ist doch ein erhabenes Gefühl, innerhalb von einigen Stunden an all diese Orte – Weltstädte und Ferienparadiese – gelangen zu können, solange man nur seinen (deutschen) Reisepass und eine Kreditkarte in den Händen hält. Ich schätze mal, innerhalb von 30 Stunden könnte man sogar jeden x-beliebigen Ort der ganzen Welt erreichen. Es macht mir deshalb auch gar nichts aus, dass ich auch in Sydney wieder übertrieben zu früh da bin. Die empfohlenen drei Stunden bei internationalen Flügen habe ich noch niemals wirklich gebraucht. Aber ich habe schonmal eineinhalb Stunden am Check-In-Schalter gestanden und ebenfalls schon mal zweieinhalb Stunden bei der Immigration und wer weiß, wann das beides mal an einem Tag passiert. Der Flughafen Sydney ist überdies nicht der schlechteste Ort um zwei Stündchen umherzustreifen, obszön teuren Kaffee zu trinken und die letzten Australischen Dollar für noch teurere Sandwiches und Süßigkeiten auszugeben. Ich beobachte dann die Leute und denke mir ihre Geschichten aus – wo sie herkommen und wohin sie fliegen. Die ganze Welt ist in so einer Abflughalle versammelt und niemand ist am Ziel, alle sind unterwegs. Der Senegal und die Seychellen, Brasilien und Brunei, alles nur eine Gangwaylänge entfernt. Wo könnte man sich freier fühlen als an einem Flughafen?

Ich blicke aus dem Fenster auf das geschäftige Treiben auf dem Rollfeld. Die Sonne ist längst untergegangen, aber draußen sieht es aus, wie in einem Ameisenhaufen mit millionen radioktiv leuchtender Ameisen. Hunderte Flugzeuge, tausende blinkende Fahrzeuge, Gepäckwagen, Tankwagen, Pushbacks und „Follow-Me“-Autos wuseln da durcheinander. Ich denke über die Leute nach, die hier arbeiten und diesen Weltverkehrsknotenpunkt am Laufen halten. Jeden Tag sind sie so nah dran, an all den Flugzeugen und Menschen, die aus der ganzen Welt kommen und in die ganze Welt reisen; und doch könnten sie von dieser Welt nicht weiter entfernt sein. Sie fliegen niemals irgendwohin und alle Maschinen heben ohne sie ab. Sie gehen jeden Abend einfach zurück in ihre Wohnungen.

Die Fahrt zur Startbahn dauert eine halbe Stunde und währenddessen landen und starten noch 50 weitere Flugzeuge. Dass es bei diesem Verkehrsaufkommen bloß so wenige Flugzeugunglücke gibt, ist eigentlich das zweite Wunder der Luftfahrt.

In meiner Dreierreihe hat noch ein Mädel am Gang platzgenommen während der mittlere Platz frei bleibt. Ich versuche ein paar mal rüberzuschauen, um rauszufinden, ob sie attraktiv ist aber mein neues Nackenkissen hält meinen Kopf recht stabil in seiner Position. Überhaupt ist es das erste Nackenkissen meines Lebens, das seinen Zweck auch nur ansatzweise erfüllt und nicht bloß wie ein labbriger Schal um meinen Hals hängt. Diesmal werde ich nicht abrupt aufwachen, weil mein Kopf im Halbschlaf zur Seite fällt und das Ding dann bloß noch dazu dient, den Sabber aufzufangen. Wohlinvestierte 60 Dollar, freue ich mich.

Als die Anschnallzeichen ausgehen, holt meine Fast-Sitznachberin eine Flasche Baileys aus ihrer Duty-Free-Tüte. Ich werfe ihr einen skeptischen Blick zu, weil ich mir sicher bin, dass man im Flugzeug keinen mitgebrachten Alkohol trinken darf. Generell nicht und sicher erst recht nicht, wenn man von Australien nach Neuseeland fliegt. In Australien bin ich mal in eine Bar nicht reingekommen, weil mich der Türsteher in 50 Metern Entfernung mit einem leeren (!) Plastikbecher in der Hand gesehen hat und in Neuseeland hängen Schilder in den Bars, dass angetrunkene Menschen rausgeschmissen werden. Ein Australier merkte dazu mal an, dass seine Landsleute ohne all diese Regeln auf der Stelle komplett freidrehen würden und das Land in alkoholischer Anarchie versinken würde. Das wäre in seinem Land genauso, pflichtete ihm der Kanadier noch bei und beide guckten mich an: „Nicht überall sind die Menschen so zivilisiert und beherrscht, wie in Deutschland.“

Das Mädel neben mir reißt sich jedenfalls unbeirrt ihre Baileysflasche auf.

„Magst du teilen?“

„Nee, danke; ähh… ich mein, Ja, klar!“

Kurz habe ich überlegt, ob ich sie darauf hinweisen soll, dass das ja eigentlich verboten ist, aber ich bin ja nicht ihre Mama und auch nicht die Stewardess. Außerdem habe ich noch nicht entscheiden können, ob sie attraktiv ist, und wer weiß, von was so eine Flasche Baileys alles der Anfang sein kann. Aber eigentlich mag ich Baileys gar nicht so gern, und meine Sitznachbarin hat entweder höllische Flugangst oder ADHS, so nervös wie sie auf ihrem Sitz rumzappelt. Und weil ich scheißmüde bin, kommt es mir sehr gelegen, dass der Flugbegleiter, als er die Flasche sieht, so große Augen bekommt, als hätte sich der Brummkreisel neben mir gerade einen Joint angezündet. Ich höre nur, wie er immer wieder was von „serious trouble“ redet, nein eher brüllt, während ich unbemerkt den Becher leere und in meiner Sitztasche verschwinden lasse. Da der Abend nun irgendwie eine unromantische Wendung genommen hat, beschließe ich, in dieser Nacht bloß noch mit meinem neuen Nackenkissen zu kuscheln, wünsche dem nunmehr drinklosen Mädel eine gute Nacht und schlafe ein.

Silvester

Am Silvesternachmittag sitze ich schon wieder im Flugzeug. Ich verlasse das wenig aufregende Melbourne und fliege in den Norden nach Queensland zum Great Barrier Reef. Warum genau meine Reiseroute jetzt irgendwie im Zickzackkurs verläuft, kann ich mir selbst nicht mehr so genau erklären. Irgendwie erschien es mir zwischendurch wohl klüger, auf dem Landweg von Cairns nach Sydney zu reisen, als von Melbourne nach Cairns. Immer noch eine absurd lange Route für ein paar Wochen, aber wohl irgendwie klimatisch vorteilhafter. Außerdem ließ sich so Silvester in Sydney vermeiden, was ein abartig teurer Spaß ist. Offenbar wollen so viele Leute einmal in ihrem Leben das Feuerwerk vor der Kulisse des Hafens und der weltbekannten Oper sehen, dass eine Nacht im mittelmäßigen Hostel gleich mal 80 Euro kostet. Ich lache mich kaputt, als ich bei Facebook die Massen sehe, wie sie sich schon mittags die besten Plätze im Regen sichern, kurz bevor ich einfach über sie hinweg fliege.

Silvester ist für mich sowieso die sinnloseste Veranstaltung aller Zeiten. Was interessiert es mich oder den Lauf der Welt, ob die Erde die Sonne ein weiteres Mal umkreist hat und vor allem, was habe ich dazu beigetragen, dass ich das feiern müsste? Und erst diese ganzen sinnlosen Vorsätze. Als ob schon jemals eine einzige wichtige Lebensentscheidung an Silvester getroffen wurde. Es ist doch immer das gleiche Trauerspiel, überzogene und sogleich enttäuschte Erwartungen an die Nacht der Nächte. Ich kann mich an keine legendäre, aus dem Ruder gelaufene Partynacht erinnern, die im Vorhinein akribisch geplant war. Silvester ist der Jahrestag der Spießer und Langweiler.

Das alles ändert jedoch leider gar nichts daran, dass ich auch schlecht alleine im Hostel sitzen kann, an diesem Abend. Als das Flugzeug in Cairns landet ist es schon 17.30 Uhr. Achso, es gab eine Zeitverschiebung? Wie immer bin ich grandios unvorbereitet und ahnungslos. Von der Ankunftszeit bin ich genauso überrascht, wie vom tropisch heißen Wetter und ich habe noch immer keine Ahnung, was man in Cairns an Silvester (oder überhaupt) so anstellen kann. Im Taxi zum Hostel checke ich Facebook, Internetforen und sogar Tinder ab – irgendwie ist das jetzt aber auch schon zu spät. Ich muss wohl schnell ein paar Freunde im Hostel finden, bevor dort alle ausgeflogen sind. „Schnell Freunde finden müssen“ gehört jetzt nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen nach einem Reisetag. Ich werfe also meinen Rucksack in den Schlafsaal und gehe zum Pool. Zum Glück sind überhaupt Leute da. Hosteltypisch kommt man schnell ins Gespräch und ich checke einzelne Gruppen mit Leuten ab, die nett aussehen. „Where are you from?“ – Aha, Deutschland. Egal, die Zeit um wählerisch zu sein, ist längst vorbei. Die beiden Jungs sind nett, ihre beiden Freundinnen auch, außerdem noch recht hübsch. Die beiden Pärchen haben gerade Abi gemacht und befinden demzufolge auf dem „Work and Travel“-Planeten. Mit einem Uber fahre ich noch schnell zum letzten geöffneten Liquorstore der Stadt und kaufe Bier. Wir bestellen Pizza und quatschen. Die Vier über ihre Abiturnoten und die Arbeit auf Mangofarmen, ich über Surfen und Tauchen. Die gemeinsamen Gesprächsthemen halten sich zwar in Grenzen, interessant ist es trotzdem. Kraft meiner bloßen Lebenserfahrung genieße ich in der Gruppe den Status eines Altersweisen und es macht Spaß, den ein oder anderen altväterlichen Ratschlag fallen zu lassen.

Beim Feuerwerk am Strand, liegen wir uns in den Armen. Ich hasse Silvester immer noch, bin aber trotzdem froh, dass ich noch nette Gesellschaft gefunden habe. Nach dem Feuerwerk gehen wir in den angesagtesten Backpacker-Club der Stadt. Ich denke mir, jetzt ziehe ich es auch durch. Eine halbe Stunde anstehen, 35 Dollar an der Tür abgeben, um sich in einen völlig überfüllten Laden zu stopfen, der all meine Silvesterbefürchtungen bestätigt. Die Musik als unterirdisch zu bezeichnen, wäre noch arg beschönigt. Der Schweiß tropft von den Wänden, aber nicht in einer guten Art und Weise. Es ist wirklich grausam, genau genommen aber auch nicht viel grausamer als die meisten öffentlichen Silvesterpartys auf denen ich in Deutschland so war.

Wir tanzen, schwitzen und trinken also noch eine Weile, und als ich mich verabschiede, bin ich froh, diesen Jahreswechsel endlich hinter mich gebracht zu haben. Bei einem letzten Bier im Hostel lese ich noch die etlichen unpersönlichen „Guten Rutsch“-Wünsche und lösche all die dämlichen GIFs, während es in Deutschland erst sechs Uhr am Silvesterabend ist und sich noch alle für die „Party des Jahres“ vorbereiten. Wie gut, dass mich von der nächsten Silvesterfeier dank der Zeitverschiebung diesmal neun Stunden mehr trennen.

KL

KL, so nennen Einheimische (und jeder, der das mal aufgeschnappt hat – also auch ich) die Hauptstadt Malaysias, Kuala Lumpur. Ich mache hier ein paar Tage Zwischenstopp und weil ich mal irgendwo gelesen habe, dass man hier in 5-Sterne-Hotels für den Preis einer Tankfüllung absteigen kann, sitze ich gerade in einem 40-Quadratmeter-Zimmer mit Blick auf die Skyline und im einem Klo mit integriertem Bidet.

Lustig, denke ich: Gestern habe ich noch in einer runtergerockten Hanoier Altstadt-Bar Happy-Ballons konsumiert und heute lasse ich mich mit „Sir“ anreden und muss mich im „Club“ des Hotels an den Dresscode halten. From rags to riches; na ja nicht ganz, denn in meinem Budget sind solche Eskapaden eigentlich nicht vorgesehen. Aber was soll’s? Ich mache hier eh was ich will.

Kuala Lumpur ist auf eine Art eine unwirkliche Stadt. Eine Stadt, von der man weiß, dass sie existiert aber auch nicht viel mehr. Natürlich kannte ich die ikonische Skyline mit den Petronas-Twin-Towers, aber ehrlich gesagt, wusste ich vor ein paar Jahren noch nichtmal wo Malaysia genau liegt.

Ich nutze meine Luxussuite zum Durchatmen, ich fühle nämlich eine leichte Reiseerschöpfung. Es ist kein Heimweh, aber mein Interesse an der Stadt da unten vor meinem Fenster hält sich gerade irgendwie in Grenzen. An meinem riesigen Schreibtisch schreibe ich ein paar längst überfällige E-Mails und skype mit diversen Menschen, die mir wichtig sind.

Nachdem die Twin-Towers erklommen und die wichtigsten Eckpunkte der Stadt abgegrast sind, packe ich meinen Rucksack, um zum Flughafen zu fahren. Strand und Sonne auf Bali werden mein Gemüt schon wieder aufhellen. Eine Stunde bevor ich los will, checke ich nochmal den Flugstatus und stelle fest, was nicht ganz unvorhersehbar war, bislang jedoch von meiner optimistischen Einstellung erfolgreich beiseite geschoben wurde: Der Flug ist wegen des Vulkanausbruchs gestrichen. Das fällt AirAsia natürlich drei Stunden vor Abflug ein und das, obwohl der Flughafen auf Bali noch nichtmal geschlossen ist – im Gegensatz zu dem auf Lombok, weshalb spontanes Ausweichen dorthin auch nicht möglich ist.

Immerhin bin ich noch nicht am Flughafen und ziehe erstmal in ein Hostel um, um die laufenden Kosten wieder auf ein handhabbares Niveau zu drücken. Im Hostel suche ich andere Flugrouten nach Indonesien; ich bin allerdings nicht der einzige und die Preise gehen durch die Decke.

Eigentlich wollte ich auch die S. – mit der ich schon zusammen auf der Transsib war – auf Bali treffen. Lange haben wir überlegt, wann und wo sich unsere Wege wieder kreuzen würden. Die letzte Gelegenheit ist nun vom Vulkan endgültig weggepustet worden.

Jetzt fühle ich mich noch erschöpfter. Ich gehe eine Runde spazieren, aber die Stadt nervt mich. Als ich – wieder im Hostel – auf meinem Bett liege, vibriert mein Handy. Ich hatte meinen Vermieter gefragt, ob er die Untervermietung meiner Wohnung noch ein paar Monate länger genehmigen würde. Er schreibt, ich solle die Wohnung gleich komplett an ihn zurückgeben, „das wäre wohl für alle das Beste“. Ich habe ja schon immer geahnt, dass er wahnsinnig ist und war froh, dass er mich bislang in Ruhe gelassen hat. Jetzt hab ich es schwarz auf weiß, dass er nicht mehr alle Tassen im Regal hat. Natürlich ist mir klar, dass er mich nicht einfach rauswerfen kann, aber die Vorstellung, das mit ihm vom Ende der Welt aus zu diskutieren, lässt Übelkeit in mir aufkommen. Die Vorstellung einige Monate auf die Mietzahlungen der Untermieterin zu verzichten auch.

Ich möchte den Mülleimer in meinem Dorm weggetreten, aber ich bin zu müde. Ich fühle ich mich leer und ein wenig verloren. Nicht, weil mich die Sache mit der Wohnung finanziell ruinieren würde oder weil ich ernsthaft befürchte, keinen Weg nach Indonesien zu finden, es ist einfach ein kurzzeitiger Krisenzustand, hervorgerufen durch widrige Umstände gepaart mit Erschöpfung. Jeder Reisende kennt das Gefühl, wenn mal alles zu viel wird und man nur noch kotzen möchte. Ja, auch das gehört dazu und es trifft Jeden mal. Vielleicht muss es ja so sein, denke ich, vielleicht kann man die Hochs ohne die Tiefs ja auch gar nicht richtig wertschätzen. Solche pseudoschlauen Erkenntnisse helfen in der Situation selbst aber natürlich kein bisschen weiter.

Ich gehe runter ins Restaurant, bestelle Essen, habe aber keinen Hunger. Eigentlich will ich ins Bett und diesem Tag durch Schlaf endgültig entfliehen, aber ich bin ruhelos. Ich gehe in die Rooftop-Bar und trinke den Gin-Tonic, den jeder Gast als Welcome-Drink bekommt. Ich suche Zuspruch und körperliche Nähe und finde sie bei einer anderen Backpackerin, die dort ebenfalls allein sitzt.

Am nächsten Tag kommt die K. ins Hostel. Der ausgefallene Flug hat uns ein unerwartetes Wiedersehen beschert. Auch sie kennt natürlich diese kleinen Krisen, die einen dann und wann ereilen. Wir betrinken uns auf der Dachterrasse und versinken in endlose Gespräche über das Reisen und das Leben, während die Petronas-Towers in der Skyline funkeln, als sei das hier New-York. Irgendwie surreal alles.

Am nächsten Morgen buche ich beim Frühstück Flüge nach Singapur und Flores, während die Sonne sich langsam ihren Weg durch die Wolken bahnt.

Silver lining.

one way

Das Klicken des Anschnallgurtes im Flugzeug ist für mich seit jeher ein Moment, dem ich ganz besondere Aufmerksamkeit widme, wenn ich irgendwohin aufbreche. Ich erinnere mich daran, wie ich diesen Moment während der Examenklausuren herbeigesehnt habe, denn ich wusste, dass es das erste Geräusch eines neuen Kapitels in Budapest sein wird.

So ist es auch heute. Das Leben, wie ich es kannte, wird heute einstweilen aufhören und Platz für Neues machen. Ich fliege nicht in den Urlaub, ich habe kein Rückflugticket. Alles was ich zukünftig besitzen werde, passt in einen Rucksack, den ich gerade dabei beobachte, wie er auf dem Weg zu seinem Platz, ca. einem Meter unter meinem ist. Man braucht nicht viel, denke ich und wundere mich, wofür ich den ganzen anderen Kram brauche, den ich über die Jahre angesammelt habe.

*klick* – take off.

Blick aus dem Fenster: Die Stadt wird kleiner. Alles wird kleiner. Die Menschen, meine Wohnung, das Arbeitsamt – bis Berlin nur noch wie ein putziges Miniatur-Wunderland aussieht, in dem die Ringbahnen Runde um Runde um den Fernsehturm drehen.

Berlin aus dem Flugzeug

Sie werden auch dann noch unermüdlich kreisen, wenn ich sie wegen des Regens und der Entfernung schon längst nicht mehr sehen kann. So, wie alles weitergehen wird, nur eben ohne mich. Die alten Freunde gehen in der Heimat aufs Libori-Fest und die neuen Freunde grillen im Volkspark und verbringen die lauen Abende im Freiluftkino. Der berliner Sommer wird ohne mich stattfinden, sofern er denn überhaupt noch stattfindet. Meine Freundin, die ich sehr vermissen werde, wird sich ihren Hobbys und neuen Projekten widmen. Biere im Park werden ohne mich getrunken werden und mein Vater wird seinen 60. Geburtstag ohne mich feiern. Weihnachten werde ich nicht bei meinen Lieben sein.

Dann, als das Flugzeug die Wolkendecke durchbricht: gleißendes Sonnenlicht.