2000 Light Years from Home?

In Chiang Mai treffe ich meine gute Freundin K. Sie ist gerade zwischen zwei Jobs und hat nun Zeit zum Reisen. Wie es der Zufall so will, sind wir in die gleiche Richtung unterwegs und können so einen Teil unseres Weges zusammen bestreiten. Es ist ein gutes Gefühl nach knapp zwei Monaten wieder jemand Vertrautes bei mir zu haben und wir trinken und quatschen bis in die Nacht und schmieden gemeinsam Reisepläne.

Die Begegnung lässt mich auch an Deutschland denken, an zu Hause. Sie erinnert mich daran, dass ich eines Tages wieder zurück sein werde in dem, was Reisende gemeinhin als das „echte Leben“ bezeichnen. Nebenbei bemerkt eine recht tollkühne Bezeichnung: Wer sagt denn, dass ich hier nicht gerade das richtige Leben lebe und alle anderen Zuhause ein Fake-Leben?

Aber was ist überhaupt zu Hause? Die Frage mag sich seltsam anhören, haben doch die meisten Menschen eine eindeutige Antwort darauf parat. Dass man die Frage trotzdem aufwerfen kann, kam mir erstmals in den Sinn, als ich Daniel Schreibers kluges Buch zur dieser „Suche unseres Lebens“ gelesen habe. Und wo, wenn nicht auf Reisen, ist diese Suche gegenwärtiger? 

Der Reisende ist nicht zu Hause, soviel steht fest; und zumeist gibt es einen Grund, warum er es nicht ist. Vielleicht weiß er nicht, wo sein Zuhause ist?

Es ist schon möglich, dass jeder Mensch ein Zuhause braucht. Treffe ich andere Reisende, die seit Jahren unterwegs sind, habe ich nicht selten den Eindruck, dass sie verloren sind, so ganz ohne festen Bezugspunkt im Leben. Gleichzeitig kann ich die Freuden der unbedingten Freiheit nur allzugut nachvollziehen. Ich lebe schließlich selbst gerade das freieste Leben, das ich mir ausmalen kann. Und dennoch weiß ich, dass es kein Konzept für die Ewigkeit ist. Der Wert der Grenzenlosigkeit wird sich gewiss mit der Zeit verbrauchen. Ohne Zuhause ist man nicht vollständig, gewissermaßen wurzellos. 

In St. Petersburg habe ich den V. getroffen. Der IT-Spezialist hat sein Zuhause früh aus den Augen verloren. Er ist in Indien aufgewachsen und als seine Eltern sich getrennt haben, hielt ihn nichts mehr in seiner Heimat. Er hat einige Jahre in Singapur und weitere Jahre im Silicon Valley gelebt. Heute, mit 26 Jahren, hat er ein Neues Zuhause für sich gefunden, in Hamburg. In fünf Jahren kann er Deutscher Staatsbürger werden und wenn man ihn sagen hört, dass er seinen indischen Pass am liebsten sofort in die Tonne kloppen würde, dann kauft man es ihm ab: Er ist zu Hause angekommen. 

Und wo ist mein Zuhause? In Europa? In Deutschland? In Berlin? In meiner Wohnung? Da wo meine Freunde und meine Liebsten sind? Da wo mein zukünftiger Job sein wird?

Im Moment ist mein Platz überall auf der Welt, aber eines Tages wird er wieder einen Namen tragen.

one way

Das Klicken des Anschnallgurtes im Flugzeug ist für mich seit jeher ein Moment, dem ich ganz besondere Aufmerksamkeit widme, wenn ich irgendwohin aufbreche. Ich erinnere mich daran, wie ich diesen Moment während der Examenklausuren herbeigesehnt habe, denn ich wusste, dass es das erste Geräusch eines neuen Kapitels in Budapest sein wird.

So ist es auch heute. Das Leben, wie ich es kannte, wird heute einstweilen aufhören und Platz für Neues machen. Ich fliege nicht in den Urlaub, ich habe kein Rückflugticket. Alles was ich zukünftig besitzen werde, passt in einen Rucksack, den ich gerade dabei beobachte, wie er auf dem Weg zu seinem Platz, ca. einem Meter unter meinem ist. Man braucht nicht viel, denke ich und wundere mich, wofür ich den ganzen anderen Kram brauche, den ich über die Jahre angesammelt habe.

*klick* – take off.

Blick aus dem Fenster: Die Stadt wird kleiner. Alles wird kleiner. Die Menschen, meine Wohnung, das Arbeitsamt – bis Berlin nur noch wie ein putziges Miniatur-Wunderland aussieht, in dem die Ringbahnen Runde um Runde um den Fernsehturm drehen.

Berlin aus dem Flugzeug

Sie werden auch dann noch unermüdlich kreisen, wenn ich sie wegen des Regens und der Entfernung schon längst nicht mehr sehen kann. So, wie alles weitergehen wird, nur eben ohne mich. Die alten Freunde gehen in der Heimat aufs Libori-Fest und die neuen Freunde grillen im Volkspark und verbringen die lauen Abende im Freiluftkino. Der berliner Sommer wird ohne mich stattfinden, sofern er denn überhaupt noch stattfindet. Meine Freundin, die ich sehr vermissen werde, wird sich ihren Hobbys und neuen Projekten widmen. Biere im Park werden ohne mich getrunken werden und mein Vater wird seinen 60. Geburtstag ohne mich feiern. Weihnachten werde ich nicht bei meinen Lieben sein.

Dann, als das Flugzeug die Wolkendecke durchbricht: gleißendes Sonnenlicht.