Up in the Air

Ich mag Flughäfen. Sie sind magische Orte: Man geht durch den Haupteingang rein, und wenn man das nächste mal eine Straße betritt, ist man an einem komplett anderen Ort. Fliegen ist ein verdammtes Wunder, wie ja schon Louis CK zutreffend festgestellt hat, auch wenn man den natürlich im Grunde nicht mehr zitieren darf, seit seine Vorliebe, vor Mitarbeiterinnen zu masturbieren, bekannt geworden ist. Ob dies zwangsläufig zur vollständigen Auslöschung seiner (jetzt entarteten?) Kunst führen muss, weiß ich nicht, aber das ist ja auch ein ganz anderes Thema.

Weil ich Fliegen liebe, liebe ich auch das Vorspiel, den Aufenthalt am Flughafen. Jetzt mag manch ein berufsbedingter Flugzeugpendler vielleicht die Augen verdrehen, aber dennoch bleibt es dabei: Es ist ein verdammtes Wunder und jeder, der regelmäßig im Flughafen die Fassung über eine halbe Stunde Verspätung verliert, sollte sich mal sein Leben vor Augen führen, wenn er zweimal pro Woche mit dem Auto von Berlin nach Köln fahren müsste – oder nach New York.

Es fängt schon mit der letzten Zigarette vor dem Terminal an. Fünf Minuten innehalten, ein letzter Blick auf die Stadt, die man (vielleicht für immer) hinter sich lässt und geht beim Blick auf die Abflugtafel weiter. Es ist doch ein erhabenes Gefühl, innerhalb von einigen Stunden an all diese Orte – Weltstädte und Ferienparadiese – gelangen zu können, solange man nur seinen (deutschen) Reisepass und eine Kreditkarte in den Händen hält. Ich schätze mal, innerhalb von 30 Stunden könnte man sogar jeden x-beliebigen Ort der ganzen Welt erreichen. Es macht mir deshalb auch gar nichts aus, dass ich auch in Sydney wieder übertrieben zu früh da bin. Die empfohlenen drei Stunden bei internationalen Flügen habe ich noch niemals wirklich gebraucht. Aber ich habe schonmal eineinhalb Stunden am Check-In-Schalter gestanden und ebenfalls schon mal zweieinhalb Stunden bei der Immigration und wer weiß, wann das beides mal an einem Tag passiert. Der Flughafen Sydney ist überdies nicht der schlechteste Ort um zwei Stündchen umherzustreifen, obszön teuren Kaffee zu trinken und die letzten Australischen Dollar für noch teurere Sandwiches und Süßigkeiten auszugeben. Ich beobachte dann die Leute und denke mir ihre Geschichten aus – wo sie herkommen und wohin sie fliegen. Die ganze Welt ist in so einer Abflughalle versammelt und niemand ist am Ziel, alle sind unterwegs. Der Senegal und die Seychellen, Brasilien und Brunei, alles nur eine Gangwaylänge entfernt. Wo könnte man sich freier fühlen als an einem Flughafen?

Ich blicke aus dem Fenster auf das geschäftige Treiben auf dem Rollfeld. Die Sonne ist längst untergegangen, aber draußen sieht es aus, wie in einem Ameisenhaufen mit millionen radioktiv leuchtender Ameisen. Hunderte Flugzeuge, tausende blinkende Fahrzeuge, Gepäckwagen, Tankwagen, Pushbacks und „Follow-Me“-Autos wuseln da durcheinander. Ich denke über die Leute nach, die hier arbeiten und diesen Weltverkehrsknotenpunkt am Laufen halten. Jeden Tag sind sie so nah dran, an all den Flugzeugen und Menschen, die aus der ganzen Welt kommen und in die ganze Welt reisen; und doch könnten sie von dieser Welt nicht weiter entfernt sein. Sie fliegen niemals irgendwohin und alle Maschinen heben ohne sie ab. Sie gehen jeden Abend einfach zurück in ihre Wohnungen.

Die Fahrt zur Startbahn dauert eine halbe Stunde und währenddessen landen und starten noch 50 weitere Flugzeuge. Dass es bei diesem Verkehrsaufkommen bloß so wenige Flugzeugunglücke gibt, ist eigentlich das zweite Wunder der Luftfahrt.

In meiner Dreierreihe hat noch ein Mädel am Gang platzgenommen während der mittlere Platz frei bleibt. Ich versuche ein paar mal rüberzuschauen, um rauszufinden, ob sie attraktiv ist aber mein neues Nackenkissen hält meinen Kopf recht stabil in seiner Position. Überhaupt ist es das erste Nackenkissen meines Lebens, das seinen Zweck auch nur ansatzweise erfüllt und nicht bloß wie ein labbriger Schal um meinen Hals hängt. Diesmal werde ich nicht abrupt aufwachen, weil mein Kopf im Halbschlaf zur Seite fällt und das Ding dann bloß noch dazu dient, den Sabber aufzufangen. Wohlinvestierte 60 Dollar, freue ich mich.

Als die Anschnallzeichen ausgehen, holt meine Fast-Sitznachberin eine Flasche Baileys aus ihrer Duty-Free-Tüte. Ich werfe ihr einen skeptischen Blick zu, weil ich mir sicher bin, dass man im Flugzeug keinen mitgebrachten Alkohol trinken darf. Generell nicht und sicher erst recht nicht, wenn man von Australien nach Neuseeland fliegt. In Australien bin ich mal in eine Bar nicht reingekommen, weil mich der Türsteher in 50 Metern Entfernung mit einem leeren (!) Plastikbecher in der Hand gesehen hat und in Neuseeland hängen Schilder in den Bars, dass angetrunkene Menschen rausgeschmissen werden. Ein Australier merkte dazu mal an, dass seine Landsleute ohne all diese Regeln auf der Stelle komplett freidrehen würden und das Land in alkoholischer Anarchie versinken würde. Das wäre in seinem Land genauso, pflichtete ihm der Kanadier noch bei und beide guckten mich an: „Nicht überall sind die Menschen so zivilisiert und beherrscht, wie in Deutschland.“

Das Mädel neben mir reißt sich jedenfalls unbeirrt ihre Baileysflasche auf.

„Magst du teilen?“

„Nee, danke; ähh… ich mein, Ja, klar!“

Kurz habe ich überlegt, ob ich sie darauf hinweisen soll, dass das ja eigentlich verboten ist, aber ich bin ja nicht ihre Mama und auch nicht die Stewardess. Außerdem habe ich noch nicht entscheiden können, ob sie attraktiv ist, und wer weiß, von was so eine Flasche Baileys alles der Anfang sein kann. Aber eigentlich mag ich Baileys gar nicht so gern, und meine Sitznachbarin hat entweder höllische Flugangst oder ADHS, so nervös wie sie auf ihrem Sitz rumzappelt. Und weil ich scheißmüde bin, kommt es mir sehr gelegen, dass der Flugbegleiter, als er die Flasche sieht, so große Augen bekommt, als hätte sich der Brummkreisel neben mir gerade einen Joint angezündet. Ich höre nur, wie er immer wieder was von „serious trouble“ redet, nein eher brüllt, während ich unbemerkt den Becher leere und in meiner Sitztasche verschwinden lasse. Da der Abend nun irgendwie eine unromantische Wendung genommen hat, beschließe ich, in dieser Nacht bloß noch mit meinem neuen Nackenkissen zu kuscheln, wünsche dem nunmehr drinklosen Mädel eine gute Nacht und schlafe ein.

Autor: BuzzT1985

Highwayman, sailor, dam builder, starship captain, lawyer, still alive

Ein Gedanke zu „Up in the Air“

  1. das mit dem trinken ist so eine Sache für sich, ich behalte lieber einen klaren Kopf. Obwohl ab und zu ist mein alter Kopf auch ohne Schnaps schon etwas dusselig

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