Dem Zufall – oder vielmehr dem Vulkan auf Bali – habe ich es zu verdanken, dass ich zwei Tage in Singapur bin. Auf meiner ursprünglichen Route war der Stadtstaat eigentlich nicht vorgesehen, weil er bekanntermaßen exorbitant teuer ist. Und so treffe ich in meinem Hostel auch keine anderen Backpacker sondern nur Leute, deren Aufenthaltszweck sich mir nicht wirklich erschließt, die sich aber offensichtlich auch nichts anderes leisten können. Mit 15 Euro pro Nacht ist es hier viermal so teuer wie in Vietnam – dafür kriegt man aber dreimal so wenig Komfort geboten.
Die Stadt dagegen ist durchaus sehenswert. Ich wette, jeder Architekt würde beim Spaziergang um die Marina Bay ganz wuschig werden. Alles wurde hier sorgsam am Reißbrett arrangiert und wenn die Sonne hinter der Skyline verschwindet und alles zu leuchten beginnt, dann kommt man sich vor wie in einem kleinem Wunderland. Hier fahren die U-Bahnen längst ohne Fahrer und die Rentner haben Chipkarten, mit denen sie an den Ampeln die Grünphasen für Fußgänger verlängern können. Es gibt ausgezeichnetes Essen und superschicke Bars mit Bier für 12 Euro, wo das blasse Bürovolk sich den Feierabend schöntrinken kann. Es ist ein Disneyland für „white collar worker“. Ein Disneyland mit strengen Regeln und drakonischen Strafen. Nirgends darf man Rauchen und tut man es doch, muss man gleich ein halbes Jahresgehalt Strafe bezahlen. Für den Besitz kleinster Mengen Gras wird man hingerichtet und was immer auch in Singapur als unangemessenes Verhalten gegenüber Frauen gelten mag, kann mit Prügelstrafe geahndet werden. Man kann hier zwar in jeder Bar sein iPhone auf dem Tisch liegen lassen, während man aufs Klo geht, kann dann aber keinesfalls sicher sein, nicht dafür bestraft zu werden im Stehen zu pinkeln. Ständig fragt man sich, ob Dieses oder Jenes erlaubt ist oder ob das Überqueren der Straße bei Rot gleich mit 1000 Singapur-Dollar zu Buche schlägt. Essen und trinken in der U-Bahn ist jedenfalls mit 300 Euro aufwärts bepreist.
In Phnom Penh musste man sich „nur“ darum sorgen, nicht überfallen zu werden, was unterm Strich sicher günstiger gewesen wäre, als hier ein (ohnehin verbotenes) Kaugummi auf die Straße zu spucken. Hier muss man sich bei jedem Schritt unter den allgegenwärtigen Kameras und Dronen fragen, ob man nicht gegen irgendein unsinniges Gesetz verstößt. Der Chillfaktor leidet jedenfalls ein wenig unter dieser Polizeistaatmentalität.
Natürlich schaue ich auch im Marina Bay Sands Hotel vorbei – jedenfalls um einen Blick von der Aussichtsplattform zu werfen. Bei meinem Streifzug durch den Luxusbunker kommt mir mein Fünf-Sterne-Hotel in Kuala Lumpur wie ein Rattenloch vor. Wie wäre es wohl, hier für eine Woche abzusteigen? Zimmer neben der Stadtautobahn gibt es schon für 300€ die Nacht. Der riesige Dachgarten, der natürlich nur für Hotelgäste zugänglich ist, sieht durchaus verlockend aus. Ich überlege eine Sekunde lang, einen Aufenthalt hier auf meine Bucket-List zu setzen, bevor mir klar wird, wie lächerlich der Gedanke ist. Ein Hotelaufenthalt für mehrere tausend Euro auf der Bucket-List? Wenn es so weit gekommen ist, hat man wohl endgültig das Wesentliche aus den Augen verloren. Außerdem möchte ich mich keinesfalls unter diese neureichen Prolls mischen, die hier über die Gänge stolzieren. Der Blick von der Aussichtsplattform ist trotzdem atemberaubendend.
Beim anschließenden Spaziergang durch die Innenstadt versuche ich eine Bar zu finden, in der man auch in Shorts und T-Shirt einkehren kann und nicht den Gegenwert einer Nacht im Hostel für ein Bier auf den Tresen legen muss. Während ich umherstreife, wird mir klar, was das Problem der Stadt ist: Sie hat keine Seele. Wie ein perfekter Körper ohne Geist. Eine Hülle wie eine bunte Filmkulisse ohne Leben hinter den Fenstern. Es gibt keine alternative Szene und keine Kunst – jedenfalls keine, die nicht eingekauft wurde.
Obwohl hier Menschen aus aller Herren Ländern mit verschiedensten Religionen friedlich zusammenleben, zeichnet sich die Stadt durch völlige Abwesenheit von Kultur aus. Die Stadt scheint einfach keinen fruchtbaren Boden für die Entfaltung von künstlerischer Kreativität zu bieten.
Irgendwie scheint man sich dieses Problems in Singapur auch bewusst zu sein, denn man kann durchaus Anstrengungen erkennen, die Stadt zu einem Ort der Kunst zu machen. Auf staatliches Betreiben hin wurden Museen eröffnet und internationale Galeristen in die Stadt gelockt. Dem liegt natürlich das Missverständnis zu Grunde, dass der Import einer Kunstbranche gleichbedeutend mit der Etablierung einer Kunstkultur sei. Eine solche Kultur setzt jedoch mindestens die Anwesenheit von Künstlern voraus, von denen sich nach wie vor kein Einziger hierher verirren würde. Die Einsicht, dass man Kultur nicht kaufen kann, wird sich in einer Stadt, in der Geld das Wichtigste ist, wohl niemals durchsetzen. Kultur kann nur organisch wachsen. Und genau das ist das Dilemma dieser Hauptstadt des Designs, denn das organisch Gewachsene ist stets der natürliche Feind des Designs.