Chiapassionate

Meine Reise führt mich zunächst durch den mexikanischen Bundesstaat Chiapas, wo ich als erstes in San Cristobal de las Casas Station mache. Ich verlasse das klapprige Flugzeug der mir völlig unbekannten mexikanischen Airline und steige in einem indischen Yoga-Hostel ab. In dessen pittoreskem Patio (dem typischen spanischen Innenhof) herrscht ein angenehmer alternativer Vibe und die Herberge ist ein guter Ausgangspunkt, um die alte Kolonialstadt zu erkunden.

Man spürt hier deutlich den Einfluss der im Umland lebenden indigenen Bevölkerung, sei es beim Essen oder auf den zahlreichen Märkten. Ansonsten lässt man sich auch hier am besten durch die Straßen treiben, isst und trinkt in den zahlreichen Restaurants und Cafés und beobachtet die Massen, wie sie sich nach Einbruch der Dunkelheit auf den Plätzen versammeln und dem jahrmarktähnlichen Treiben frönen. Die Mexikaner gehen gern raus auf die Straßen – niemand sitzt hier abends in seiner Wohnung.

Im Hostel treffe ich Nick, der Amerikaner ist Mitte Fünfzig und natürlich höchst spirituell unterwegs. Die meiste Zeit seines Lebens hat er nur in Los Angeles verbracht, wo er in einem früheren Leben mal IT-Spezialist war, bevor ihm das alles zu eng wurde, er alles hinter sich ließ und sich nun rund um die Welt meditiert. Im Gespräch erfahre ich, dass er sogar mal ein halbes Jahr in meiner Heimatstadt Paderborn gelebt hat, wo er Anfang der Neunziger im Rahmen eines Austauschprogramms bei Nixdorf gearbeitet hat. Ich erzähle ihm, dass sein damaliger Arbeitsplatz heute das größte Computermuseum der Welt beherbergt (jawohl, auch Paderborn kann mit einem Superlativ aufwarten) und dass das Label Nixdorf auch heute noch auf Geldautomaten überall auf der Erde steht, die in Paderborn das Licht der Welt erblickten. Tatsächlich gab es kein Land auf meiner Reise in dem ich nicht mindestens einmal an einem Wincor/Nixdorf Automaten Geld abgehoben hätte.

Egal, Paderborn, Deutschland, Berlin, Zuhause: All diese Gedanken versuche ich gerade noch aus meinem Kopf rauszuhalten, was mir jedoch zunehmend schlechter gelingt. Hier in San Cristobal bekomme ich sogar schonmal einen kleinen Vorgeschmack auf deutsche Temperaturen. Auf 2100 Meter über dem Meeresspiegel werden es nachts um die fünf Grad. Ich fühle mich nicht bereit für die Kälte und verlasse die Stadt Richtung Osten nach Palenque. Obwohl Palenque nur ca. 200 Kilometer entfernt ist, ist die Reise eine Odyssee.

Der Bus ist zehn Stunden unterwegs und durchfährt gefühlt halb Mexiko, um auf den „sicheren“ Straßen zu bleiben. Zwar gibt es auch eine direkte Straße nach Palenque aber nachdem 2016 dort ein Bus von einem wütenden Mob angegriffen und niedergebrannt wurde, fährt das hiesige Busunternehmen wohl lieber den Umweg. Nach kurzer Internetrecherche beschließe ich, auch die anderen Möglichkeiten links liegen zu lassen, denn aus den Foren wird ersichtlich, dass es dort draußen offenbar immer noch wild zugeht. Alle fünf Kilometer wird man von irgendeiner Polizei, dem Militär oder mal netten, mal wütenden Demonstranten gestoppt und muss irgendwelche ausgedachten Wegzölle bezahlen – Jeder hat hier irgendeinen Auftrag, nur welchen, erfährt man selten. Reichsparen kann man sich auf der Direktverbindung also schonmal nicht; und scheitert die Kommunikation mit den Hobby-Zöllnern, weil der Taxi- oder Collectivo-Fahrer kein Maya spricht, soll vereinzelt auch schonmal auf Autos geschossen worden sein. Das ist jedenfalls das, was „das Internet“ sagt und das ist gerade alles, was ich habe. Jetzt, wo ich es bis hierhin (halbwegs) unversehrt geschafft habe, will ich das Schicksal nicht herausfordern und entscheide mich für einen weiteren Tag im Bus. Der wird letztendlich zwar auch eine Stunde lang vom Militär aufgehalten, das – mit ebenfalls unklarem Auftrag – die Zeit bei unserem Gepäck verbringt, aber immerhin will niemand Geld haben.

In Palenque angekommen, hat sich das Wetter wieder auf tropische Hitze normalisiert. Die Stadt liegt tatsächlich mitten im Dschungel, was einigermaßan erwähnenswert ist, da Mexiko ansonsten eher wüstenmäßig beschaffen ist. Auch hier begebe ich mich natürlich wieder auf die Spuren der Maya, die hier mitten im Urwald die Reste einer Megametropole hinterlassen haben, bei deren Erkundung man sich fühlen kann wie Indiana Jones bei der Entdeckung des „Tempels des Todes“.

Auch wenn meine Begeisterung für die archäologischen Stätten in letzter Zeit ein wenig abgenommen hat, ist Palenque – nicht zuletzt wegen seiner Lage im Dschungel – doch nochmal eine besondere Kirsche auf der Maya-Torte.

Mein Mekong

Nach einem Zwischenstopp in Chiang Rai überqueren wir die Grenze zu Laos. Die 220 Kilometer bis ins Landesinnere nach Luang Prabang legen wir mit dem Boot zurück. 

Die Fahrt mit dem Slow-Boat auf dem Mekong ist ein Meilenstein auf meiner Reise, denn der Mekong ist nach der Transsibirischen Eisenbahn ein weiterer Sehnsuchtsort für mich gewesen. Eine weitere Sehnsucht, die dank einer Fernsehreportage den Weg in meinen Kopf gefunden hat. Während die Transsib-Idee wegen der Doku „Mit dem Zug von Berlin nach Peking“ geboren wurde, ist diesmal ARD-Korrespondent Robert Hetkämper schuld. „Mein Mekong“ hieß seine Doku, an die ich noch so oft zurückdenken sollte. Heute mache ich mir selbst ein Bild von meinem Mekong.

Die K. und ich haben reichlich Zeit dafür, denn das Boot ist zwei Tage unterwegs. Der 15jährige Steuermann hat das Boot beim ausparken nur gerade so weit beschädigt, dass die Fahrtüchtigkeit noch erhalten blieb und steuert uns nun im Zick-Zack-Kurs zwischen den, aus dem Wasser hervorschauenden Felsen durch. Zum Glück macht er seine Sache gut, denn die fünf Schwimmwesten, die sich die mindestens 60 Leute an Bord teilen müssen, sehen aus wie Attrappen.

Das Wetter meint es gut mit uns, denn obwohl Regenzeit ist, scheint die Sonne. Und wie sie scheint: bei 95 Prozent Luftfeuchtigkeit rinnt einem der Schweiß in jede Ritze des Körpers, auch wenn man sich nicht bewegt. Immerhin haben wir es der Nebensaison zu verdanken, dass wir einigermaßen Platz auf dem Holzkahn haben. In der Hauptsaison sind die Boote nämlich voller als die Shanghaier U-Bahn zur Rushhour. Auf den 70 Plätzen tummeln sich dann schonmal bis zu 120 Menschen.

Heute können wir die Beine lang machen und lesen oder musikhören. An den Bergen, die den Fluss säumen, hängt derweil maximal krasse Urwaldvegetation. Bizarre Wolkenformationen krönen die Szenerie und lassen den nächsten Monsun vorwegahnen.

Über Nacht machen wir eine Pause in Pakbeng. Der Mekong ist nachts nicht befahrbar. Es gibt kein einziges Schiffahrtszeichen, dass auf eine der zahlreich vorhandenen Gefahrenstellen oder sonst irgendwas hinweisen würde und die meisten Gefährte, die hier unterwegs sind, verfügen noch nichtmal über eine Kerze als Lampe. Natürlich haben die Boote auch keine Instrumente, nichtmal einen Drehzahlmesser für den Motor gibt es.

Ich vermute mal, auch die laotische Binnenschifffahrtsverordnung ist ein bisschen kürzer als die Deutsche. Anders kann ich mir nicht erklären, dass hier so ein reger Speedboat-Verkehr herrscht. Die Boote von der Größe eines Kanus und der Form eines Grashalms überholen uns des Öfteren mit einer Geschwindigkeit von mindestens 60 Km/h und erinnern mich vom Geräusch her stark an Formel1 Autos. Beim Ablick der kreuz und quer aus dem Wasser wachsenden Felsen ahne ich, warum jeder Passagier einen Motorradhelm trägt – ein Gadget, das in Laos ansonsten völlig unbekannt ist. Aktivitäten, die sogar im Reiseforum des Lonely Planet als gefährlich eingestuft werden, sollte man tatsächlich besser meiden, sofern man auch nur ein bisschen an seinem Leben hängt.

Das Slow-Boat jedenfalls hat alles unbeschadet an seine Zielorte entlang des Flusses gebracht: Die Laotischen Familen, ihre Wocheneinkäufe, ihre Paletten thailändischen Red Bulls, tausende Eier, ein Dutzend Mopeds sowie etliche Kanister Benzin für dieselben.

In Luang Prabang hustet das Boot dann noch alle verbliebenen Westerners – also auch uns – an den Pier. Die Koberer der Hostels warten schon, aber wir wollen uns in der Stadt erstmal in Ruhe umsehen.