Ich habe mich noch ein Stück weiter vorgewagt und verbringe etwas Zeit in Biryusa am gleichnamigen Fluss. Ich bin bei Aleksej und seiner Familie untergebracht und ich will das Leben in einem typisch sibirischen Dorf kennenlernen. Aleksejs Nachbarin Tatjana, eine ehemalige Englischlehrerin, führt mich durch das 120-Seelen Dorf. Fließendes Wasser gibt es nicht, aber die Bezirksregierung tut einiges, um junge Leute im Dorf zu halten. Offenbar mit Erfolg, denn man sieht viele Kinder und sogar einen Kindergarten gibt es. Das Leben hier ist nicht unkompliziert aber einfach. Wer nicht in Taischet ist, um zu arbeiten, hütet Garten und Tiere oder setzt, wie Aleksejs Schwiegermutter Valentina, Ikonenbilder aus tausenden Plastikmosaiksteinchen zusammen.
Nach dem Dorfspaziergang breche ich mit Aleksej in die sibirische Taiga auf. Er will mir die Natur zeigen, die ich bislang nur aus dem Zugfenster kenne. Es regnet und Aleksejs SUV muss sich durch knietiefe Schlammlöcher wühlen. Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der so ein Auto wirklich braucht. Mit so einem handelsüblichen SUV lässt sich sogar ein Fluss durchqueren; wer hätte das gedacht. Zu schade, dass die meisten seiner Artgenossen in den Städten diese Erfahrung niemals machen werden.
Bei Wind und Wetter haben wir Mühe unser Feuer am brennen zu halten. Trotzdem bereiten wir ein oppulentes Mahl mit Hühnerfleisch, Kartoffeln und Gemüse aus Aleksejs Garten zu, um uns für einen kleinen Trekkingtrip zu stärken. Er erzählt, dass es man in letzter Zeit verstärkt auf die Bären Acht geben muss, denn viele haben Nachwuchs bekommen und sind mit diesem lieber ungestört. Wir treffen zum Glück keinen.
Es regnet und wir sind völlig durchgeweicht, als wir wieder bei ihm sind. Zum Glück hat Valentina schon die Sauna bzw. das Badezimmer angeheizt.
Ich habe eine grobe Vorstellung davon bekommen, wie das Leben links und rechts der Gleise aussieht. Trotzdem freue ich mich fast ein bisschen auf das Klo im Zug. Da verschwinden die Fäkalien nämlich per Wasserspülung auf nimmer Wiedersehen auf die Gleise – anstatt langsam unter einem im Boden zu versickern.