Roadtrippin

Ich gebe Gas und kriege sofort eine Ahnung davon, was mir bislang tatsächlich entgangen ist. Zusammen mit zwei Mädels, die ich in Punakaiki kennengelernt habe, habe ich mich aufgemacht, mit dem Auto die Catlins zu erkunden. Die südlichste Küstenlandschaft gehört zu den abgelegensten Regionen Neuseelands und hier fährt dann auch kein Bus mehr hin. Wir haben das gefühlt letzte Mietauto des ganzen Landes bekommen, und weil wir nicht mehr in der Verhandlungsposition waren Wünsche zu äußern, sind wir in einem SUV unterwegs.

Ob der mindestens 10 Jahre alte Honda CR-V wirklich die Bezeichnung „Sports-Utility-Vehicle“ verdient hat, kann mit guten Gründen bezweifelt werden, ist am Ende aber auch scheißegal – wir fahren. Die Freiheit, sein eigenes Auto zu besitzen, darf in Neuseeland wirklich keinesfalls unterschätzt werden. Man kann hinfahren, wo man will, anhalten, wo man will, machen, was man will. Hier unten im Niemandsland kann man sogar übernachten, wo man will, denn im Gegensatz zu den Highlight-Städten wie Queenstown ist hier nicht jedes Hostelbett auf drei Wochen ausgebucht.

Wir sind uns sofort einig: das ist Urlaub vom Urlaub. Für einen kurzen Moment fühlt es sich an, als würden wir uns schon ewig kennen und hier einfach einen Familienurlaub verbringen.

Während der SUV über die staubigen Schotterpisten brettert und eine kilometerlange Staubfahne hinter sich herzieht, kommt in mir für einen kurzen Moment dieses Glücksesligkeitsgefühl auf, nach dem man im Leben eigentlich immer auf der Jagd ist. „One of these days, that make this life worth living“ singt Fritz Kalkbrenner aus den Boxen und gerade hat er verdammt recht. Felsige Steilküsten und einsame Leuchttürme werden von uns in der Gesellschaft von Pinguinen, Robben und Seelöwen bestaunt und es ist schwer zu sagen, ob die Zeit angehalten ist oder rast. Liegt es an der eigenartigen Verbundenheit, die wir in diesem Moment spüren oder daran, dass wir den Touristenmassen für einen Moment entkommen sind? Irgendwie schwer zu sagen, was hier eigentlich los ist.

Es ist nicht die Zeit für Reflexionen in diesem Moment. Es ist die Zeit, zu fahren und einfach zu machen. Alles hat eben seine Zeit.

Nach dem Trip bin ich noch eine Weile in Queenstown, ein absurder, mit Chinesen überfüllter Skiort, der sich trotz Sommers genauso anfühlt wie Sölden oder Ischgl in der Hochsaison. Es stört mich nicht, der Roadtrip mit den Mädels hat mich ein wenig versöhnt mit Neuseeland. Lange hat mich in Neuseeland das Gefühl der Entzauberung begleitet, aber vielleicht – denke ich noch, als ich in der Schlange zur Immigration stehe – liegt es auch an uns selbst, den Dingen einen Zauber zu geben. Der Grenzbeamte fragt mich nicht – wie zunächst befürchtet – wie es mir in Neuseeland gefallen hat. Er ist ein Automat, der nur einmal piept, nachdem ich meinen Pass gescannt habe und das Land und die beiden Mädels hinter mir zurücklasse.

Im größten Freizeitpark

Im „the dog with two tails“ läuft Soul-Musik. Das gemütliche Café in Dunedin ist an diesem Tag mein Wohnzimmer, und wie ein Wohnzimmer ist das Café auch eingerichtet. Auf der Theke steht der RollsRoyce der Kaffeemaschinen, trotzdem schmeckt der Kaffee ein bisschen säuerlich. Unterextraktion würde der Barrista wohl sagen. Egal, nach dem seltsamen Gebräu im Hostel bin ich nicht pingelig.

Ich habe mein mobiles Büro aufgeschlagen und plane meine Weiterreise. Kreuz und quer bin ich bislang über die Südinsel gereist und nur noch einige Tage verbleiben mir in Neuseeland. Wie werde ich wohl in einigen Jahren an Neuseeland zurückdenken, frage ich mich, und wird mir der Grenzbeamte bei meiner Ausreise ein Feedback-Formular aushändigen? „Wie hat es Ihnen bei uns gefallen?“ Bitte ankreuzen: „gut“, „sehr gut“ oder „fantastisch“.

Nicht das ich im klassischen Sinne von Neuseeland enttäuscht wäre. Ich habe großartige Natur erwartet und ich habe großartige Natur bekommen. Ich habe ein sehr hohes Preisniveau erwartet und ich habe ein sehr hohes Preisniveau bekommen. Den Blick auf mein Konto versuche ich zu vermeiden, denn der hätte nur Schwindelgefühle zur Folge. Neuseeland ist ein Land für Menschen mit prall gefüllten Portemonnaies. Ein riesengroßer Freizeitpark, in dem man jede Achterbahn extra bezahlen muss. Ich beschwere mich nicht, all das habe ich gewusst – jedenfalls geahnt – und ich wollte diese Ecke der Welt ja unbedingt sehen. Und es gibt schließlich schlimmeres als den Besuch eines Freizeitparks. Keinesfalls bereue ich es daher, hergekommen zu sein. Meine Bucket-Liste hat sich jedenfalls enorm verkürzt, und Erlebnisse wie einen Bungy-Jump aus 135 Metern oder mit dem Helikopter auf einen Gletscher zu fliegen, werde ich ganz sicher niemals vergessen.

Trotzdem bleibt ein wenig der Beigeschmack, dass ich diese Erlebnisse (nur) eingekauft habe – so als ob das den Wert eines Abenteuers schmälern wurde. Na gut, um fair zu sein, den ein oder anderen kleineren Gipfel habe ich auch ganz selbst ohne Helikopter erklommen und der einzige Grund, warum ich heute im Café sitze, ist, dass ich die Tage in Dunedin so ausgiebig zum Surfen genutzt habe, dass ich mich jetzt kaum noch bewegen kann. Vielleicht ist das Passivitätsgefühl also auch eher subjektiv. Vielleicht waren aber auch einfach meine Erwartungen von den vielen begeisterten Erzählungen zu hoch gesteckt. Das Gefühl, etwas entzaubert zu haben, ist ja immer ein Begleiter beim Reisen aber hier, am sogenannten anderen Ende der Welt fühlt es sich besonders stark an – oder liegt es nur daran, dass der Zauber zu groß war, um es mit der Realität aufzunehmen?

Ein abschließendes Urteil werde ich wohl erst in einigen Monaten oder Jahren fällen können. Aber noch bin ich ja auch nicht fertig hier. Bislang war ich mit dem Bus unterwegs, was in Neuseeland zwar hervorragend möglich ist, den Gegebenheiten aber – wenn man ehrlich ist – nicht gerecht wird, denn Neuseeland ist ein Autoland. Ich habe mich zunächst eine Zeit lang geweigert, das einzusehen und gute Argumente haben gegen diese Variante gesprochen: Vier Wochen sind zu kurz um ein Auto – oder noch besser einen Campervan – zu kaufen. Kauf und Verkauf hätten mindestens eine Woche verschlungen. Andererseits sind vier Wochen aber auch zu lang um ein Auto zu mieten, ohne danach Privatinsolvenz anmelden zu müssen; jedenfalls dann wenn man die Entscheidung nicht wie die zahlreichen Urlauber ein halbes Jahr vorher treffen kann. Sich mit jemand Fremden kurzfristig zu verabreden, um die Kosten zu teilen, birgt immer das Risiko, an einen Menschen gebunden zu sein, der einem dann den letzten Nerv raubt. Im Nachhinein betrachtet hätte ich vielleicht einen anderen Weg finden sollen, aber hinterher ist man ja bekanntlich immer schlauer. Und weil ich noch einige Tage habe, ist es ja auch noch nicht zu spät. Ein fahrbarer Untersatz muss her!