Yunnan bedeutet wörtlich übersetzt: südlich der Wolken. Richtiger wäre wohl unter den Wolken. Das Wetter spielt hier verrückt, wie es vermutlich in den meisten Regionen Südostasiens verrückt spielt, zu dieser Jahreszeit. Wenigstens zweimal am Tag regnet es heftig, dazwischen scheint – anders als in Berlin – jedoch auch mal die Sonne. Immer kleben die Wolken bedrohlich an den Bergen.
Wir erkunden die Region zu Fuß, denn es gibt ausgezeichnete Wandermöglichkeiten. Bei Dali unternehmen wir einen Tagestrip in die „grünen Berge“. Pfade gibt es hier genug, gute Wanderkarten und verlässliche Informationen nicht. So machen wir uns auf eigene Faust auf den Weg, hoch ins Diancang-Shan Gebirge. Die Erfahrung hat gelehrt, dass es keinen Unterschied macht, ob man auf die Ratschläge der Leute hört, oder gleich sein eigenes Ding macht.
Wir kommen gut voran und schaffen es immerhin auf 3000 Meter über N.N. Bei einer Rast fragen wir ein paar Leute, bis wann die Seilbahn ins Tal fährt. Einer sagt sechs, einer halb neun. Um halb fünf erreichen wir die Stelle an der eine kleine Standseilbahn zur Hauptsatation fährt. Warum ist sie geschlossen? Wir erklimmen die 1300 Sufen zu Fuß, um festzustellen, dass auch die Haupt-Seilbahn geschlossen ist.
„Níhao?“ rufen wir – Niemand antwortet.
Man kann ihnen nicht trauen, den Chinesen. Bevor sie zugeben, etwas nicht zu wissen, erzählen Sie einem lieber irgendeinen Blödsinn. Wir wandern den ganzen Weg zurück ins Tal und bestellen mit letzter Kraft ein Bier bevor die Dunkelheit hereinbricht.
Das war jedoch nur das Training für die Tigersprungschlucht. Trotz ihres dämlichen Namens ist die Schlucht zwischen Shangri-La und Lijiang eine der spektakulärsten und tiefsten der Welt. Der 22 Kilometer lange Track ist zwar technisch nicht hochgradig anspruchsvoll, ein bisschen in Form zu sein schadet aber gleichwohl nicht, denn die vertikale Distanz an den knapp 6000 Meter hohen Bergen ist nicht zu unterschätzen.
Die Reiseführer übertreiben nicht, wenn sie einhellig das Wort dramatisch benutzen, um die Lage des Yangtze-Flusses in der Schlucht zu beschreiben. Dramatisch ist aber auch die Sicherheit des Trails an einigen Stellen. Überall haben Gerölllavinen Teile des Pfades einfach weggefegt und hier und da zeugen ölfassgroße Felsbrocken auf dem Pfad davon, was einem sonst noch so von oben blühen kann. Hier hatte schon Mancher seine letzte Wanderung. Langweilig wird es auch deshalb nicht, weil gelegentlicher Sturzregen dafür sorgt, dass sich der schmale Pfad sich in einen Strom aus Schlamm und Geröll verwandelt. An den steileren Stücken kann dann nur ausharren und festen Halt suchen.
Teure Outdoorkleidung brauchen wir nicht. In Berlin mögen die Leute in der Stadt mit Alpin-Ausrüstung herumlaufen, hier oben in den Bergen braucht man nicht mehr als ein T-Shirt und eine Leinenhose. Man wird nass und trocknet wieder. Wir nehmen uns 1,5 Tage Zeit und machen ausgiebige Pausen in den zahlreichen einfachen Gästehäusern, die zum tibetischen Essen gratis noch einen atemberaubenden Ausblick servieren.
Als wir an unserem Ziel ankommen, fragt uns ein älteres Ehepaar, ob wir das Erdbeben bemerkt hätten. Haben wir nicht. Gut so, denken wir; das wäre dann doch etwas viel des Nervenkitzels gewesen.