Wenn Bear Grylls in seiner Fernsehsendung „Man vs. wild“ irgendwo in der Wildnis ausgesetzt wird und sich seinen Weg zurück in die Zivilisation erkämpfen muss, hat er wenigstens immer sein Armeemesser dabei. In der Wüste Gobi hatte ich nichts dabei. Kein Messer, keine Taschenlampe, kein Wasser, nichts. Nur meine drei Reiseabschnitts-Gefährten, deren nützlichster Besitz jedoch ebenfalls nur die Flipflops an ihren Füßen waren.
Aber von vorn: Unser UAZ rumpelte durch eine Art Gebirge und während wir uns fragten, wie es möglich ist, dass die Karre in diesem extremen Gelände nicht einfach auseinanderbricht, offenbarte das Gefährt heimlich seine Schwachstelle. Erst als es hinter uns deutlich zog, haben wir uns umgeguckt. Die Hecktür war aufgegangen und unsere Rucksäcke haben bereits weitläufig den Wüstenboden verschönert. Wir machen eine Vollbremsung und ernten unsere Besitztümer aus der Steppe. Es fehlten zwei Decken und eine Matratze. Dolmetscher und Fahrer sind ein wenig aufgeregt und wollen ein paar Meter zurückfahren, um die Sachen wiederzufinden. Die Strecke hat uns schon ein halbes Schleudertrauma beschert und wir beschließen deshalb, uns kurz die Beine zu vertreten. Während das Auto hinter der nächsten Bergkuppe verschwindet, witzeln wir: „Und Tschüss!“.
Nach zehn Minuten sagen wir noch im Scherz: Ob die wohl zurückkommen?
Nach zwanzig Minuten: Was haben wir eigentlich dabei? Antwort: nichts.
Nach dreißig Minuten: Wie viele mongolische Jahresgehälter ist eigentlich all unser Gepäck wert? Antwort: mindestens zwei.
Nach einer Dreiviertelstunde: Wie lange kann die verdammte Tür denn offen gestanden haben, ohne das wir das mitgekriegt haben? Doch keine 20 Minuten! Hatten die beiden eine Panne? Sind sie verunfallt oder abgehauen? Haben sie sich verfahren? Egal sie kommen nicht wieder.
Und was ist überhaupt in uns gefahren? Zusammengenommen etliche Jahre Travel-Erfahrung und dann lassen wir uns als Gruppe geschlossen zusammen in der Wüste aussetzen ohne auch nur einen einzigen Gegenstand unser Ausrüstung dabei zu haben? Ich hoffe, es gibt kein Leben nach dem Tod, in dem ich die Umstände meines Dahinscheidens erklären müsste. Wir sind ein Fall für den Darwin-Award!
Nach einer Stunde haben wir die Optionen durchgesprochen: Die S. wollte in die Richtung weitergehen, in die wir ohnehin unterwegs waren, die K. wollte zurückgehen und der L. wollte am Standort ausharren. Trennen wollten wir uns aber nicht, schließlich hatten wir uns schon geeinigt, wen wir als erstes essen: Die Vegetarierin.
„Don’t panic“ steht auf dem „Hitchhikers Guide to the Galaxy“, jenes Universallexikon aus dem gleichnamigen Buch, das ich gerade lese. Sicher ein kluger Ratschlag, aber um wie viele Stunden wird das unser Leben hier draußen verlängern? Vermutlich um nicht allzu viele. Es sind tatsächlich gute eineinhalb Stunden und gefühlt drei Stunden vergangen, als wir die Lage als „eher ernst“ einstufen.
Dann passiert was passieren musste: Der UAZ taucht hinter dem nächsten Berg wieder auf. Fahrer und Dolmetscher sind genauso aufgelöst wie wir, allerdings nur, weil sie nicht alles wiedergefunden haben und noch fürchten, dass auch etwas von unserer Ausrüstung verlorengegangen sei. Unser Einwand, dass wir schon in leichter Sorge waren, bleibt ungehört. Die beiden sind erstmal nur froh, dass jedenfalls unsere Sachen alle da sind.
Wir sind froh, dass wir überlebt haben. Für heute.